Wissenschaftliche Sammelbände sind in der archäologischen Forschung nach wie vor ein wichtiges Publikationsmedium, sie werden aber – nach meiner Wahrnehmung – sehr unterschiedliche beurteilt. Ich möchte daher in diesem Beitrag über die Publikationsform “Sammelband” nachdenken.
Zum Nachdenken über wissenschaftliche Sammelbände angeregt hat mich unter anderem der 100. Newsletter der DGUF, in dem Melanie Augstein über die “Wertigkeit” bestimmter Publikationsformen reflektierte. Das ist nun schon eine Weile her, aber da ich immer wieder zu diesem Thema zurückgekommen bin, schreibe ich es nun doch einmal auf.
Ich war in der Vergangenheit als Autorin und als Mitherausgeberin an unterschiedlichen Sammelbänden beteiligt, und auch aktuell wirke ich an derartigen Publikationsprojekten mit.
Die Stärke eines wissenschaftlichen Sammelbandes liegt meines Erachtens in seiner thematischen Geschlossenheit. In der Regel werden in wissenschaftlichen Sammelbänden Beiträge von Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen akademischen Feldern und fachlichen Disziplinen sowie aus unterschiedlichen Karrierestufen vereint. Damit bietet ein wissenschaftlicher Sammelband die Möglichkeit, ein bestimmtes Thema aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln zu betrachten. Auch Kolleg*innen, die neu(er) in einem Forschungsfeld sind, können in einem Sammelband etwas beitragen: Nicht jeder Text darin muss ein Forschungsgebiet in der vollen Breite und Tiefe überblicken – erst die Gesamtheit der Beiträge ergibt das umfassende Bild.
Wissenschaftliche Sammelbände eignen sich aus meiner Sicht besonders für die Nutzung in der akademischen Lehre. Diese Publikationsform ermöglicht Studierenden einen niedrigschwelligen Einstieg in ein Thema. Dies gilt aber auch für Wissenschaftler*innen, die sich ein neues Themengebiet erschließen wollen oder müssen – etwa, weil sie im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit mehr darüber wissen möchten.
Die Herausgabe eines wissenschaftlichen Sammelbandes ist aber auch mit allerlei Hürden verbunden.
Manche Sammelbände basieren auf Tagungen oder Sektionen von Tagungen, andere wiederum werden unabhängig produziert. Gemeinsam haben sie, dass die Herausgeber*innen für das Publikationsprojekt einen Zeitplan festlegen, und die Autorinnen und Autoren darüber informieren. In diesem Zeitplan müssen verschiedene Arbeitsschritte wie ein Peer Review das Überarbeiten der Beiträge, verschiedene Korrekturschleifen, Satz und Layout mit berücksichtigt werden.
Vom Textentwurf zum Druckerzeugnis. Schaubild in zwei Teilen mit den wichtigsten Arbeitsschritten hin zu einer fertigen Publikation. Mit diesem Schaubild habe ich den Arbeitsprozess in der Vorbereitung des wissenschaftlichen Sammelbands “Bildliche Darstellungen der Vergangenheit = Bilder der Vergangenheit?” illustriert (Grafik: Doris Gutsmiedl-Schümann).
Ich habe es noch nicht erlebt, dass tatsächlich alle Autoreninnen in der Lage waren, die gesetzten Fristen zur Abgabe der Beiträge einzuhalten. Insbesondere in den letzten Jahren durch die Auswirkungen der globalen Covid-19 Pandemie zeigte sich, dass die Möglichkeiten an Artikeln oder Kapiteln für wissenschaftliche Sammelbände zu arbeiten sehr ungleich verteilt sind. Einige Wissenschaftlerinnen konnten sich in der Pandemie aus der akademischen Lehre nahezu vollständig zurückziehen, und hatten auch sonst keine nennenswerten familiären Pflichten zu erfüllen: Sie konnten Abgabefristen sehr gut einhalten. Andere jedoch waren durch Lehre unter Pandemiebedingungen, durch familiäre Verpflichtungen und Sorgearbeit, durch eigene Krankheit, Behinderungen usw. überproportional belastet und daher kaum noch in der Lage, Publikationsverpflichtungen nachzukommen. Hinzu kommt, dass manche Autorinnen ihre Beiträge aus gesicherten akademischen Positionen heraus in ihrer Arbeitszeit schreiben können, während andere dies unentgeltlich und in ihrer Freizeit tun. In diesen Fällen stellt sich für Herausgeberinnen von wissenschaftlichen Sammelbänden die grundsätzliche Frage: Wieviel Verlängerung kann und/oder möchte man diesen Kolleginnen und Kollegen geben? Auf der einen Seite ist es wünschenswert, dass auch Wissenschaftlerinnen auf nicht-privilegierten Positionen und aus marginalisierten Gruppen an wissenschaftlichen Sammelbänden beteiligt werden und ihre Stimmen gehört werden, auf der anderen Seite müssen unter Umständen vertragliche Verpflichtungen, die gegenüber einem Verlag eingegangen wurden, eingehalten werden. Die Spielräume, die Herausgeberinnen von wissenschaftlichen Sammelbänden beim Gewähren von Fristverlängerungen haben, können also sehr unterschiedlich sein.
Ein weiteres Problemfeld stellt das Peer Review dar. In den Sammelbänden, an denen ich bisher beteiligt war, sind in der Regel alle Beiträge einem einfach oder doppelt blindem Peer Review unterzogen worden. Das bedeutet für die Herausgeberinnen eines Sammelbandes, dass zu den Beiträgen passende Reviewerinnen gefunden und angefragt werden müssen. Es wurde an verschiedenen Stellen schon thematisiert, dass es immer schwieriger wird, passende Peer Reviewerinnen zu finden, da ein Review zu schreiben auf der einen Seite zeitaufwendig ist, es auf der anderen Seite in der Regel nicht vergütet werden kann. Bei den letzten Buchprojekten, an denen ich beteiligt war, haben wir daher versucht, andere Formen des Danks für Reviewerinnen zu finden: Beispielsweise haben wir die Reviewerinnen in den Kreis derer aufgenommen, die einen Sammelband zu besonderen Konditionen erwerben konnten, oder, wenn es möglich war, eine entsprechende Anzahl an Freiexemplaren von dem Sammelband zu bekommen, einen Teil dieser Freiexemplare als Dankeschön an die Reviewerinnen weiterzugeben. Dabei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass, je nachdem wo auf der Welt die Reviewer*innen anzutreffen sind, hier auf das Buchprojekt auch noch einige Portokosten zukommen.
Inzwischen sind auch die Herstellungskosten von (geduckten) Büchern deutlich gestiegen: Vor allem die gestiegenen Rohstoffpreise machen sich bemerkbar. Wissenschaftliche Sammelbände herzustellen kostet damit immer mehr Ressourcen, die vielen Wissenschaftlerinnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen kaum noch zur Verfügung stehen. Ich persönlich fände es schade, wenn die in den Archäologien durchaus starke Tradition der Sammelbände verloren ginge – ich kann aber auch verstehen, wenn sich insbesondere junge Kolleginnen, die unter dem Druck des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes möglichst viel und möglichst schnell publizieren müssen, und dabei auch noch auf möglichst hohe Impact-Faktoren achten müssen, ihre Energie nicht in einen Aufsatz für einen wissenschaftlichen Sammelband stecken wollen oder können.
Dieser Blogeintrag ist am 4. Dezember 2023 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/823 erschienen.