Doris Gutsmiedl-Schümann

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Doris Gutsmiedl-Schümann

Doris Gutsmiedl-Schümann

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Akademische Lehre hat für mich immer auch etwas mit Wissenschaftskommunikation und Archäologievermittlung zu tun. Insbesondere in Veranstaltungen, die sich an Studienanfänger*innen oder an Studierende nicht-archäologischer Fächer richten, unterscheiden sich die Teilnehmenden m. E. kaum von der interessierten Öffentlichkeit, die auch sonst in der Wissenschaftskommunikation gerne angesprochen wird.

Ein Weg, Interessierten archäologische Themen näherzubringen, sind Comics. Ich bin im Laufe der Jahre immer wieder gut gemachten Archäologie-Comics begegnet, habe mich aber erst seit einem Ausstellungsbesuch im Frühjahr 2019 intensiver damit auseinandergesetzt. Und ich muss zugeben: Das ist eine eigene, und für mich in Teilen nach wie vor fremde Welt.

Die Ausstellung, die mich zum Thema Comics und Archäologievermittlung gebracht hat, war „Qanga“ – Die Geschichte Grönlands als Graphic Novel, die vom 30. Januar bis 5. April 2019 in den Nordischen Botschaften Berlin gezeigt wurde. In der vierbändigen Reihe “Oqaluttuat” erzählt der grönländische Zeichner Nuka K. Godtfredsen aus der Vergangenheit Grönlands, und arbeitete dabei eng mit Archäolog*innen des Dänischen Nationalmuseums Kopenhagen zusammen. Die Bücher sind auf Grönländisch, Dänisch und Englisch erschienen. Band 1 der Reihe – “The first steps” – spielt in der Prähistorie, und nutzt als Quellen sowohl archäologische Funde und Befunde und die darauf basierenden aktuellen Forschungsergebnisse, als auch mündliche Überlieferungen und Geschichten der Inuit Grönlands. Für Band 2, 3 und 4, die in der Wikingerzeit, im 14. und im 18. Jahrhundert spielen, werden zusätzlich auch schriftliche Quellen herangezogen.

Comics

Im März 2019 hatte ich mit einigen Studierenden des Instituts für Prähistorische Archäologie der FU Berlin die Gelegenheit, mit einem der an diesem Projekt beteiligten Archäologen, Martin Appelt vom Nationalmuseum Kopenhagen, die Ausstellung zu besuchen. Durch seine Ausführungen wurde deutlich, wie viel Detailarbeit und Diskussion in diesen Büchern steckt, und dass es nicht damit getan ist, archäologische Forschung zur Verfügung zu stellen: Fortlaufende Kommunikation auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten ist für ein am Ende gelungenes und in den Details stimmiges Comic essentiell.

Ein Jahr später war die Ausstellung am Archäologischen Museum in Frankfurt zu sehen. Eine für Studierenden der Universität Bonn geplante Exkursion zu Beginn des Sommersemesters 2020 dorthin war dann aber wegen der Covid-19-bedingten Einschränkungen leider nicht möglich.

Ebenfalls auf Grund von pandemiebedingten Einschränkungen begann der Theorie-Lesezirkel der Berliner Antike Kollegs seine monatlichen Treffen online abzuhalten. Im Juli 2020 standen hier Comics zur Diskussion. Als Grundlage für die Diskussionsrunde wurde einerseits ein Fallbeispiel gelesen: In diesem Fall die Einleitung, das erste Kapitel und der Epilog aus “The Fox. A Tale from Neolithic Shekarat Msaied” von Nuka Godfredsen und Moritz Kinzel, andererseits der Aufsatz “Ceramics, Polity, and Comics. Visually Re-Presenting Formal Archaeological Publication” von John G. Swogger, der sich mit den Möglichkeiten von Comics im Rahmen der archäologischen Forschung beschäftigt.

Im Zuge der Diskussion wurde für mich deutlich, dass das Lesen von Comics oder Graphic Novels eine eigene Art des Lesens ist. Ich persönlich bin dabei meist zu text-fokussiert, und muss mich fast schon dazu zwischen, die Illustrationen nicht als Beiwerk, sondern als wesentlichen Bestandteil der Publikation zu sehen. Das führt unter anderem dazu, dass ich wesentlich mehr Zeit brauche, um die Inhalte, die in Comics oder Graphic Novels bildlich und textlich dargeboten werden, zu erfassen, als es bei reinem Text der Fall wäre.

Comics können aber nicht nur dazu genutzt werden, um vergangene Welten zu (re)konstruieren und auf Basis aktueller archäologischer Forschungen anschaulich und ansprechend darzustellen. Comics sind auch ein gut geeignetes Medium, und die Archäologien als akademische Disziplinen vorzustellen, oder Personen aus der Fachgeschichte bekannter zu machen. Dazu ein Beispiel: Im Wintersemester 2022/2023 hat in meiner Übung zur medialen Darstellung von frühen Archäologinnen eine Studentin in ihrem Vortrag zur britischen Archäologin Gertrude Bell (1868-1926) und ihrer medialen Darstellung die Gertrude Bell Comics vorgestellt. In diesen kurzen Comics, die auf etwa eine Bildschirmseite begrenzt sind, werden vom Gertrude Bell Archiv in Zusammenarbeit mit Zeichnerinnen und Universitäten einzelne Begebenheiten aus ihrem Leben aufgegriffen und erzählt. Dieses ausschnitthafte Vorgehen hat den Vorteil, dass es kaum inhaltliche Leerstellen in den erzählten Geschichten gibt, die mit plausiblen Vermutungen oder mit Phantasie gefüllt werden müssen.

Doch auch die aktuelle Arbeitswelt von Archäologinnen kann im Comic einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ein sehr gut gelungenes Beispiel dafür ist “Pfostenloch” von Daniela Heller, das 2022 mit dem Max und Moritz Preis für das beste deutschsprachige Comic-Debüt ausgezeichnet wurde. In diesem Comic habe ich auch einiges aus meiner Studienzeit wiedererkannt – und sicherlich ging es vielen anderen Archäologinnen ebenso.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun Lust bekommen haben, ebenfalls einen Archäologie-Comic zu lesen, würde mich das freuen!

Hier folgt noch die Bibliografie der in diesem Beitrag genannten Texte:

  • Martin Appelt/Nuka K. Godtfredsen, The ermine. Oqaluttuaq 2 (Kopenhagen, Nuuk 2013).
  • Nuka K. Godtfredsen, The first steps. Oqaluttuaq 1 (Nuuk 2009).
  • Nuka K. Godtfredsen/Moritz Kinzel, The Fox. A tale from Neolithic Shkarat Msaied. Proceedings of the Danish Institute in Damascus 17 (Istanbul 2020).
  • Daniela Heller, Pfostenloch (Berlin 2022).
  • John G. Swogger, Ceramics, Polity, and Comics. Visually Re-Presenting Formal Archaeological Publication. Advances in Archaeological Practice 3/1, 2015, 16–28.
  • Lisbeth Valgreen/Nuka K. Godtfredsen, The gift. Oqaluttuaq 3 (Kopenhagen, Nuuk 2015).
  • Lisbeth Valgreen/Nuka K. Godtfredsen, The scar. Oqaluttuaq 4 (Kopenhagen, Nuuk 2018).

Und am Ende noch ein Hinweis:

Der Theorie-Lesezirkel bespricht sehr unterschiedliche Literatur, und tagt nach wie vor digital. Wer mehr erfahren möchte, schaut am besten auf der Webseite des Berliner Antike Kollegs vorbei.


Dieser Blogeintrag ist am 8. Mai 2023 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/771 erschienen.

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Forschende - Lehrende - Archäologin | Prähistorikerin - Hochschuldidaktikerin