Doris Gutsmiedl-Schümann

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Doris Gutsmiedl-Schümann

Doris Gutsmiedl-Schümann

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Kurzbericht über die Session 1078 „Women at Archeological Conferences from the 19th Century to the Late 1990s: Presence, Representation and Experiences“ des 30. Annual Meetings der European Association of Archaeologists

In diesem Jahr waren auf dem Annual Meeting der European Association of Archaeologists gleich mehrere Sessions mit forschungsgeschichtlichen Fokus zu finden; zwei von ihnen – Session 738 „Reclaiming Herstory: Women in Mediterranean Archaeology from the 18th Century to Today“ und Session 1078 „Women at Archeological Conferences from the 19th Century to the Late 1990s: Presence, Representation and Experiences“ nahmen explizit Frauen in den Blick. Heute möchten wir von letztgenannter Session berichten.

Die Organisatorinnen der Session „Women at Archeological Conferences from the 19th Century to the Late 1990s: Presence, Representation and Experiences” hatten sich zum Ziel gesetzt, die Erfahrungen von Frauen auf archäologischen und vergleichbaren wissenschaftlichen Tagungen zu untersuchen. Dabei nahmen sie unterschiedliche Regionen vom langen 19. Jahrhundert bis in die späten 1990er Jahre in den Blick. Im Call for Papers fragten sie nach allen Aspekten der Repräsentation und Teilnahme von Frauen an Kongressen, Konferenzen, Symposien etc.; Amateurinnen und Fachfrauen sowie unabhängige und begleitende Delegierte (z. B. als Ehefrauen und Töchter männlicher Delegierter) sollten gleichermaßen Berücksichtigung finden. Methodische Ansätze sollten ebenso diskutiert werden wie konkrete Beispiele . Eine Vielzahl von Bewerbungen ging ein und versprach eine anregende Session.

Die Session wurde eröffnet von Anna Gustavson (Göteborg), die mit “Rosalie Olivecrona and the 1869 international congress of prehistoric anthropology and archaeology in Copenhagen” auch den ersten Vortrag hielt. Im Jahr 1870 veröffentlichte die schwedische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Rosalie Olivecrona (1823-1898) einen Reise- und Kongressbericht zum 4. Congrès international d’anthropologie et d’archéologie préhistoriques (CIAAP) 1869 im Magazin „Tidskrift för hemmet“. Dieses Magazin war von Rosalie Olivecrona und ihrer Freundin Sophie Adlersparre (1823-1895) 1859 gegründet worden und richtete sich speziell an Frauen.

Rosalie Olivecrona verfasste ihren Kongressbericht im Stil eines Reiseberichts und ging nicht nur auf die Inhalte der Tagung ein, sondern beschrieb auch die teilnehmenden Personen. Besonderes Augenmerk legte sie auf die Anwesenheit anderer Frauen: So erwähnte sie bereits sehr früh in ihrem Bericht, dass Ida Nilsson (1840-1920), die Tochter des schwedischen Prähistorikers Sven Nilsson (1787-1883), ebenfalls anwesend war. Auch Johanna Mestorf fand in ihrer Publikation als Übersetzerin von Sven Nilssons Büchern Erwähnung. Insgesamt waren laut Anna Gustavson unter den 340 Teilnehmenden aus 17 Ländern auf diesem Kongress zehn Frauen, allerdings keine aus Dänemark. Rosalie Olivecrona beschrieb, dass ihr zunächst der Eintritt in den Vortragsraum verwehrt wurde und sie auf eine Galerie gebeten wurde, von wo aus sie weder die Vortragenden sehen, noch die Präsentationen verstehen konnte. Schon kurze Zeit später durfte sie jedoch wie die anderen anwesenden Frauen der Tagung aus dem Plenum heraus folgen. Anna Gustavson stellte in ihrem Vortrag heraus, wie Rosalie Olivecrona dieses Ereignis dazu nutze, um mit Hilfe rhetorischer Fragen ihre Forderung nach Zugang zur Bildung für Frauen zu unterstreichen.

Zum Abschluss hob Anna Gustavson hervor, dass Tagungen und Tagungsberichte nicht nur Aufschluss über die Entwicklung der Archäologien und ihrer Nachbarwissenschaften geben können, sondern zugleich auch ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen sind.

Laura Coltofean (Frankfurt am Main) beschäftigte sich in ihrem Beitrag “Science behind leisure: Women at the 1876 international congress of prehistoric anthropology and archaeology” mit den Frauen des 8. Congrès international d’anthropologie et d’archéologie préhistoriques (CIAAP) 1876 in Budapest und stellte einleitend die Bedeutung dieser Tagung für die Entwicklung der ungarischen Archäologie heraus. Anschließend analysierte sie die Tagung auf Basis der damals erschienenen Publikationen und Zeitungsartikel, des Katalogs zur konferenzbegleitenden Ausstellung sowie auf Grund der erhaltenen Korrespondenz der Archäologin Zsófia Torma (1832-1899), für die dieser Kongress einen wesentlichen Schritt in ihrer Karriere bedeutete.

Laura Coltofean wies nach, dass zu dieser Tagung Beiträge von 32 Frauen eingereicht wurden. 25 von ihnen waren dann auch in Budapest vor Ort präsent; die meisten von ihnen reisten in bzw. als Begleitung männlicher Verwandter. Insgesamt hatten sich zunächst 657 Personen für diese Tagung interessiert; 310 Teilnehmende aus 16 Ländern waren am Ende vor Ort. In den Berichten von und über die Tagung fanden die Frauen vor allem in Zusammenhang mit dem Rahmenprogramm, etwa den social events wie gemeinsamen Mahlzeiten, Parties oder den Exkursionen Erwähnung; als archäologisch arbeitende Frauen wurden sie jedoch kaum präsentiert / erwähnt. Laura Coltofean stellte dann einige der teilnehmenden Frauen mit Kurzbiografien vor: So etwa Ilona Hadik-Bankôczy (1833-1887), die auch Gastgeberin einer Dinnerparty für ausländische Delegierte war, oder Polixénia Pulszky (1857-1921), eine Schriftstellerin und Tochter des Direktors des Ungarischen Nationalmuseums.

Auch der dritte Vortrag beschäftigte sich mit dem Congrès international d’anthropologie et d’archéologie préhistoriques (CIAAP). Julia Koch (Neubiberg) beschrieb in ihrem Beitrag “Johanna Mestorf at the international congresses of prehistoric anthropology and archaeology 1869-1876” die Erfahrungen der norddeutschen Prähistorikerin bei ihren wiederholten Kongressteilnahmen. Johanna Mestorf (1828-1909) war 1869 in Kopenhagen, 1871 in Bologna, 1872 in Brüssel, 1874 in Stockholm und 1876 in Budapest auf den CIAAP dabei, und publizierte danach ausführliche Tagungsberichte. Ab 1871 wurden aber auch in Deutschland regelmäßig archäologische Fachtagungen von den Anthropologischen Gesellschaften durchgeführt: Auf Grund ihrer eingeschränkten finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten musste sich Johanna Mestorf ab diesem Zeitpunkt entscheiden, zu welchen Tagungen sie reiste. Hier gab sie nun infolge der Anthropologie-Tagung in Kiel 1876 den inländischen Kongressen den Vorzug. Sie war als korrespondierendes Mitglied aber immer noch den CIAAP verbunden und sandte als betagte Direktorin später ihren Kurator aus.

Julia Koch stellte heraus, welche Probleme es für Johanna Mestorf als alleinstehende Frau mit sich brachte, zu den internationalen Tagungen zu reisen. Sie benötigte in den ersten Jahren nicht nur persönliche Einladungen für die Tagungen, die sie besuchen wollte, sondern sie musste auch darauf achten, mit wem sie reiste, in welcher Unterkunft sie übernachtete und in wessen Gesellschaft sie sich zeigte. Es wurde deutlich, dass es für Johanna Mestorf einen erheblich größeren Aufwand bedeutete, an einer Tagung teilzunehmen, als für ihre männlichen Kollegen.

Damit endete der erste Vortragsblock, der sich Frauen auf Kongressen des 19. Jahrhunderts widmete.

Raffaela Bucolo (Verona) setzte sich in ihrem Beitrag “The archaeologist Margarete Gütschow and women’s participation at the 3rd international archaeological conference of Rome in 1912” mit den Erfahrungen einer Frau auf einer Tagung des frühen 20. Jahrhunderts auseinander. Margarete Gütschow (1871-1951) gehörte zu den ersten Frauen, die (klassische) Archäologie studierten; sie schloss das Studium jedoch nie ab. Ab 1910 arbeitete sie für das Deutsche Archäologische Institut in Rom und konnte daher an auch der 3. International Archaeological Conference 1912 teilnehmen. Von den etwa 200 Teilnehmenden dieser Tagung waren 56 weiblich; 15 von ihnen können als archäologisch arbeitende Frauen gelten. Eine von ihnen trug auch auf dieser Tagung vor.

Raffaela Bucolo beschäftigte sich auch mit der Organisation dieser Tagung. Das Besondere daran war erstens, dass es hier ein “signora committee” gab, das mit Frauen aus Wissenschaft und Kunst besetzt war. Zweitens durften nur die die teilnehmenden Frauen Gäste am Lyceum in der Via del Tritone, dem Sitz der Female Cultural Association sein. Damit ist hier erstmals auf einer internationalen archäologischen Tagung ein Ort für Frauen nachgewiesen, wo sie sich unabhängig von männlicher Begleitung austauschen und netzwerken konnten.

Tatiana Ivleva (Newcastle) trug über “Women of archaeology and the LIMES congress” vor. Sie hatte den Betrag zusammen mit Rebecca Jones verfasst, die jedoch leider nicht anwesend sein konnte. Der International Congress of Roman Frontier Studies – kurz LIMES Congress – fand seit 1949 regelmäßig statt; in 75 Jahren wurden 25 Tagungen in zwölf verschiedenen Ländern durchgeführt. Tatjana Ivleva und Rebecca Jones werteten Tagungsprogramme, Teilnehmendenlisten sowie die Tagungsbände der LIMES-Kongresse seit 1949 aus.

Dabei konnten sie herausarbeiten, dass Vorträge zu Forschungen über die römische Armee, Militärstätten und zur Spätantike vor allem von Männern gehalten wurden, während Beiträge zu bestimmten Aspekten der materiellen Kultur, sowie zu zivilen Siedlungen und den Gesellschaften am Limes gleichermaßen von Männern und Frauen stammten. Sie konnten kein Themenfeld identifizieren, das rein weiblich dominiert war. Auffallend ist, dass Wissenschaftlerinnen vor allem über die römischen Grenzen in Osteuropa, an Rhein und Donau sowie auf dem Balkan forschten, während Forschungen zu britischen, nahöstlichen und nordafrikanischen Grenzräumen nahezu ausschließlich von Männern stammten. Insgesamt konnten die Autorinnen feststellen, dass die Anzahl von Archäologinnen auf den LIMES-Kongressen stetig stieg, und äußerten sich daher auch optimistisch für zukünftige Tagungen.

Der folgende Beitrag zeigte auf der Basis von Archivmaterial auf, wie Frauen in den Teilnehmendenlisten von Tagungen sichtbar oder unsichtbar sein können. Doris Gutsmiedl-Schümann (Neubiberg) wies in ihrem Beitrag “Women’s participation in archaeological conferences in the early federal republic of Germany” nach, dass die Aufnahme von Anreden (“Herr”, “Frau”, “Frl.”) ebenso wie ausgeschriebene Vornamen sowie genaue Positionsbezeichnungen (wie etwa “Assistentin”) viel zur Sichtbarkeit zeitgenössischer archäologisch arbeitender Frauen beigetragen haben. Umgekehrt wird an den Beispielen von Namenslisten, die Vornamen abkürzen und auf Anreden sowie Positionsbezeichnungen verzichten, deutlich, dass Archäologinnen hier unsichtbar sind bzw. nur dann als solche identifiziert werden können, wenn ihr Name bereits bekannt ist . Dies ist auch ein gutes Beispiel für den sog. „male bias“: Wenn bei einem Namen nichts weiter genannt wird, wird automatisch angenommen, dass diese Person ein Mann ist.

Agne Civilyte (Vilnius) betrachtete in ihrem Beitrag “‘No need to hide in the corner’: The legacy of Maria Gimbutas (1921-1994) at international conferences and scientific events” die Biografie der bekannten litauischen Archäologin aus der Perspektive ihrer Tagungsteilnahmen. Hierzu stellte sie zunächst die Biografie von Maria Gimbutas vor, und betonte insbesondere ihre Auswanderungs- und Fluchterfahrung. Obwohl sie ihre archäologische Karriere vor allem in der USA vorantreiben konnte, sah sich Maria Gimbutas immer auch als litauische Archäologin. Agne Civilyte gelang es aufzuzeigen, dass Maria Gimbutas stets ein persönliches Interesse daran hatte, an Tagungen im Ostblock bzw. hinter dem Eisernen Vorhang teilzunehmen, da sie auf diese Weise ihre Eltern sowie weitere Verwandte wiedersehen konnte – auch wenn sie in der Regel nicht miteinander sprechen oder sonst wie interagieren konnten.

Zuletzt stelle Mariella Cipriani (Rom) das Beispiel der klassischen Archäologin Helga Herdejürgen (1938-2001) vor, die trotz vielfältiger Forschungsleistungen zu griechischer Keramik Zeit ihres Lebens nur an einer Tagung teilgenommen hat: 1984 am International Vase Symposium in Amsterdam. Kurz vor ihrem Tod erhielt sie die Einladung, auf der 41. Conference on Magna Grecia in Taranto zu sprechen. Sie verstarb jedoch kurz vor der Tagung. Mariella Cipriani diskutierte in ihrem Beitrag die Gründe, die archäologisch arbeitende Frauen im Allgemeinen und Helga Herdejügen im Besonderen davon abgehalten haben könnten, an zeitgenössischen Tagungen teilzunehmen oder dort zu sprechen.

Durch die Analyse von Korrespondenzen und anderem Archivmaterial, durch Teilnehmendenlisten sowie durch Publikationen zu und über die Tagungen sowie von Zeitungsartikeln ist es den Vortragenden gelungen, nicht nur die Erfahrungen von einzelnen Frauen auf Kongressen des 19. und 20. Jahrhunderts zu beleuchten, sondern auch Kontakte und Netzwerke zwischen den untersuchten Frauen aufzuzeigen. Es wurde erkennbar, dass regelmäßiger Austausch und internationale Zusammenarbeit zum Thema „Frauen auf archäologischen Tagungen“ wünschenswert wären, um dadurch zu einem tieferen Verständnis von der Entwicklung der Archäologien vor dem Hintergrund der jeweiligen zeitgenössischen Gesellschaft zu gelangen. Es wurde weiterhin deutlich, dass internationale Politik, insbesondere Kriege und Konflikte, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Tagungen ausübten und ausüben – wie auch diese Session selbst in Erinnerung rief: Die ukrainische Kollegin Irina Shabelnikova (Dnipro) konnte ihren Vortrag zu “The role of women archaeologists in organizing archaeological congresses in Ukraine” auf Grund des anhaltenden Krieges in ihrem Land nicht halten und war auch nicht in der Lage, digital an der Tagung teilzunehmen.

Darüber hinaus wurde immer wieder angesprochen, dass für die Teilnahme an Tagungen – insbesondere an internationalen Kongressen – bestimmte Voraussetzungen und Ressourcen vorhanden sein müssen: Manche Konferenzen waren nur auf persönliche Einladung hin zugänglich, und die Frauen mussten entsprechende Einladungen erst erbitten, oder sie wurden auf die Rolle der Begleiterin beschränkt. Reisen kostete zudem viel Zeit und Geld: Beides war vor allem in der gesellschaftlichen Elite vorhanden. Julia Koch wies in der Diskussion auf das Beispiel von Amalie Buchheim (1819-1902) hin, die als Kustodin der beiden Altertumssammlungen in Schwerin unter Friedrich Lisch und seinem Nachfolger Robert Belz zwar an einem international bekannten und renommierten Haus tätig war, und dadurch mit vielen namhaften zeitgenössischen Archäologen, die das Museum besuchten, in Kontakt kam, selbst jedoch nie die Mittel hatte, auf Tagungen zu fahren.


Dieser Blogeintrag ist am 26. September 2024 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/7914 erschienen.

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