Die Ägyptologin und Archäologin Elise Jenny Baumgärtel (ab 1934: Baumgartel) studierte in Berlin und Königsberg, und erforschte das prähistorische Ägypten. Da sie Jüdin war, musste sie 1934 mit ihren Töchtern aus Deutschland fliehen. Sie setzte ihre wissenschaftliche Arbeit in Großbritannien und den USA fort, lebte aber viele Jahre in prekären Verhältnissen.
Elise Jenny Goldschmidt kam am 5. Oktober 1892 in Berlin zu Welt. Ihr Vater Rudolf Goldschmidt war ein bekannter Architekt und Regierungsbaumeister. In ihrer Kindheit wurde sie zu Hause unterrichtet, u.a. von einer französischen Gouvernante (Friedmann o.J.; Payne 1976, 3).
Sie schrieb sich an der Universität Berlin zunächst für ein Medizinstudium ein, wechselte aber schon bald zum Studienfach Ägyptologie (Friedmann o.J.; Payne 1976, 3). Der damals vorherrschende rein textbasierten Zugang zu den Quellen des alten Ägyptens stellte sie jedoch nicht zufrieden, und sie begann, archäologische Methoden in ihre Arbeit mit einzubeziehen (Wong 2020). Ihr Interesse galt vor allem den prähistorischen Epochen Ägyptens und angrenzender Gebiete.
Bereits 1926 publizierte sie „Dolmen und Mastaba. Der Einfluss des nordafrikanischen Megalithgrabes auf die Entwicklung des ägyptischen Grabbaus“ in den Beiheften zur Zeitschrift „Der Alte Orient“. 1927 wurde sie mit einer Doktorarbeit zum Neolithikum in Tunesien und Algerien an der Universität Königberg promoviert (Friedmann o.J.; Payne 1976, 3; Wong 2020).
Blick in Baumgärtels Publikation „Dolmen und Mastaba“ aus dem Jahr 1926 (Foto: Doris Gutsmiedl-Schümann)
Bereits 1914 heiratete Elise Goldschmidt den Kunsthistoriker und Verleger Hubert Baumgärtel (1885-1973). Das Paar hatte drei Töchter. Die Ehe war unglücklich, und wurde 1929 geschieden. Elise Baumgärtel war fortan alleinerziehend, wobei der Vater der Kinder seinen Unterhaltspflichten nie nachkam (Payne 1976, 3; Kasper-Holtkotte 2017, 449 Fußnote 1136).
Nach dem Studienabschluss kehrte Elise Baumgärtel nach Berlin zurück. Ab 1927 beantragte sie über das Berliner Museum für Völkerkunde erfolgreich mehrere Reisebeihilfen sowie eine Sachbeihilfe bei der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Eine dauerhafte Anstellung am Berliner Museum erhielt sie jedoch nicht (Friedmann o.J.; Wong 2020). Ab 1928 war Elise Baumgärtel auch Mitglied in der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU). Ihre Mitgliedschaft endete, als sie Deutschland verließ (Peuckert 2014, 114). In diesen Jahren veröffentlichte sie – als einzige Frau – auch regelmäßig Beiträge in der Prähistorischen Zeitschrift.
Mit den eingeworbenen Fördergeldern war es ihr möglich, weiter zu vorgeschichtlichen Artefakten in Ägypten und im Mittelmeerraum zu arbeiten. Unter anderem unternahm sie mit diesen Geldern eine Forschungsreise nach Paris, und bei dem Altsteinzeitspezialisten Henri Breuil (1877-1961) Steinartefakte und steinzeitliche Technologien zu studieren (Friedmann o.J.). Darüber hinaus nahm sie zu Beginn der 1930er Jahre an Ausgrabung im ägyptischen Hermopolis Magna und am Monte Gargano in Norditalien teil. Sie führte in dieser Zeit auch eine kleinere Expedition ins ägyptische Wadi el-Sheikh. Noch 1933 konnte sie eigene archäologische Untersuchungen in der Nähe von Sarajevo durchführen (Friedmann o.J.; Wong 2020).
Elise Baumgärtel war Jüdin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden ihr Stipendien und Fördergelder entzogen, und sie war gezwungen, ihre wissenschaftliche Arbeit aufzugeben. 1934 verließ sie Deutschland, und ging nach Großbritannien (Friedmann o.J.; Wong 2020). Ihre Töchter musste sie zurücklassen (Kasper-Holtkotte 2017, 449).
Ende 1934 befanden sich auch ihre Töchter in Sicherheit. Die älteste Tochter Chris Brigitte, verh. Glepen, arbeitete zunächst als Au-pair in Holland. 1940 verlor sie als eine Stelle als Krankenschwester in Paddington: Sie und ihre Familie wurden nun von Elise Baumgärtel finanziell unterstützt. Die mittlere Tochter Ingeborg, verh. Mayer, hatte 1934 in der Schweiz eine Lehre zur Gärtnerin begonnen; 1940 war sie verheiratet und lebte in New York. Die jüngste Tochter Lieselotte, verh. Field, besuchte mit einem Stipendium zunächst eine Schule in Wimbledon, und folgte ihrer Mutter später nach Oxford, um dort Philosophie, Politik und Wirtschaft zu studieren (Kasper-Holtkotte 2017, 449 Fußnote 1141 und 450 Fußnote 1144; Friedman o.J.).
Elise Baumgartel – sie schreibt ihren Nachnamen nun mit „a“ statt „ä“ – war in den 20 Jahren nach ihrer Ankunft in Großbritannien am University College London, an der Universität Oxford sowie am Museum der Universität Manchester tätig (Payne 1976, 4). Diese Jahre waren von fachlich bedeutender, aber oft unbezahlter Arbeit und finanzieller Unsicherheit geprägt. Sie konnte in dieser Zeit aber auch auf die Unterstützung ihrer britischen Kollegen zählen.
Der Althistoriker und Archäologie Sir John L. Myres (1869-1954) sorgte etwa dafür, dass Elise Baumgartel bereits kurz nach ihrer Ankunft in Großbritannien ein Stipendium bekam, um für den International Congress of Pre- and Protohistory eine Zusammenstellung prähistorischer Fundstellen in Italien und Malta zu schreiben (Friedmann o.J.). Zudem gab sie Privatstunden in Latein und unterrichtete Ägyptisch am University College London (Wong 2020). Dort ging sie 1936 auf die Flinders Petrie Collection zu, und bot ihre Mitarbeit an. Bis 1939 konnte sie sich hier mit Steingeräten und dem Neolithikum in Ägypten, ihren Spezialgebieten, befassen (Friedmann o.J.; Payne 1976,4; Wong 2020). Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde das University College London geschlossen. Elisa Baumgartel zog nun weiter nach Oxford, wo sie mit ihren Töchtern im Sommerville College for Women unterkam. In dem von der Literaturwissenschaftlerin Helen Darbishire (1881–1961) geführten College traf sie auf weitere aus Deutschland geflohene Wissenschaftlerinnen, wie etwa die Ägyptologin Käthe Bosse (1910-1998), die Archäologin Margarete Bieber (1879-1978) und die Hethitologin Leonie Zuntz (1908-1942) (Kasper-Holtkotte 2017, 413-414).
Helen Darbishire ließ die geflohenen Forscherinnen nicht nur im Somerville College wohnen. Sie schaffte auch Stipendien und Fördergelder zur Unterstützung der Wissenschaftlerinnen heran, und lud sie in den sog. „Senior Common Room“ des Colleges ein, wo sie sich mit anderen Forschenden austauschen und vernetzen konnten (Kasper-Holtkotte 2017, 447-448; 450).
1941 erhielt Elise Baumgartel ein Stipendium des Griffith Institute Oxford, um die Ergebnisse ihrer Arbeiten an der Flinders Petrie Collection zu publizieren. Daraus entstand ihr zweibändiges Werk „The Cultures of Prehistoric Egypt“: Die beiden Teile wurden 1947 und 1960 veröffentlicht (Friedmann o.J.; Payne 1976, 4; Wong 2020). 1943 endete jedoch auch diese Finanzierung, und Elise Baumgärtel musste sich mit kleineren Stipendien über Wasser halten, die sie phasenweise erhielt. Trotz der schwierigen finanziellen Lage lehnte sie ab, als ihr 1944 eine Stelle am Ministry of Labour angeboten wurde, da sie sich damit zu weit von der Wissenschaft entfernt hätte. Diese Entscheidung stieß in ihrem Umfeld auf Unverständnis (Kasper-Holtkotte 2017, 450). Nach dem 2. Weltkrieg arbeitete Elise Baumgartel als Kuratorin an der Ägyptischen Abteilung des Museums der Universität Manchester (Wong 2020).
1957 ging Elise Baumgartel in die USA, wohin ein Teil ihrer Familie bereits ausgewandert war. Sie arbeitete dort am Oriental Institute der Universität Chicago, und nahm bei Museumsreisen Funde des prädynastischen Gräberfelds von Nagada auf, das Flinders Petrie in den 1890er Jahren untersucht hatte (Payne 1976, 4). In dieser Zeit erhielt sie auch Entschädigungszahlungen aus Deutschland für ihren 1934 zurückgelassenen und beschlagnahmten Besitz (Friedmann o.J.; Payne 1976, 4). Finanziell war Elise Baumgartel nun abgesichert, und konnte wiederum ihre Familie unterstützen, indem sie in deren Süßwarenmanufaktur investierte (Payne 1976, 4).
1964 kehrte sie nach Oxford zurück, als sie die Möglichkeit bekam, die Steingerätesammlung des Ashmolean Museums zu katalogisieren. Dort konnte sie sich nun auch ein kleines Haus leisten, das sie mit ihrem Enkel bewohnte (Friedmann o.J.). Sie bereitete dort zusammen mit Joan Crowfoot Payne (1912-2002) auch eine Publikation zu Petries Ausgrabungen in Naqada vor. Dies sollte ihr letzten Buch werden. Elise Baumgartel starb am 28. Oktober 1975 in Oxford (Friedmann o.J.; Payne 1976; Wong 2020).
Quellen und Literatur
Schriften von Elise Baumgartel (Auswahl):
- Elise J. Baumgartel, Dolmen und Mastaba. Der Einfluss des nordafrikanischen Megalithgrabes auf die Entwicklung des ägyptischen Grabbaus. Der Alten Orient Beihefte 6 (Leipzig 1926).
- Elise J. Baumgartel/Fritz Brotzen, Steinzeitliches Material aus den südlichen Mittelmeerländern im Museum für Völkerkunde, Berlin. Prähistorische Zeitschrift 18/3-4, 1927, 91-111.
- Elise Baumgärtel, Funde aus einer vorgeschichtlichen Station bei Villa Cisneros Rio de Oro. Prähistorische Zeitschrift 22, 1931, 88–101.
- Elise J. Baumgartel, The cultures of prehistoric Egypt. Part 1 (Oxford, London 1947).
- Elise J. Baumgartel, The cultures of prehistoric Egypt. Part 2 (London 1960).
- Elise J. Baumgartel, Predynastic Egypt. The Cambridge ancient history 38 (Cambridge 1965).
- Elise J. Baumgartel, Petrie’s Naqada excavation. A supplement (London 1970).
Eine vollständige Bibliografie findet sich im Journal of Egyptian Archaeology 63, 1977, 48-51 und im Anhang von Friedmann o.J..
Über Elise Baumgartel:
- Joan Crowfoot Payne, Elise Baumgartel. Journal of Egyptian Archaeology. 62, 1976, 3–4.
- Renee Friedmann, Elise Jenny Baumgartel 1892-1975. Breaking Ground: Women in Old World Archaeology. Online verfügbar unter https://www.brown.edu/Research/Breaking_Ground/results.php?d=1&first=Elise%20Jenny&last=Baumgartel [letzter Aufruf 23.10.2023].
- Cilli Kasper-Holtkotte, Deutschland in Ägypten. Orientalistische Netzwerke, Judenverfolgung und das Leben der Frankfurter Jüdin Mimi Borchardt (Berlin, Boston 2017).
- Sylvia Peuckert, Hedwig Fechheimer und die ägyptische Kunst. Leben und Werk einer jüdischen Kunstwissenschaftlerin in Deutschland. Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde – Beiheft 2 (Berlin 2014).
- Eponine Wong, Elise Baumgartel. Trowelblazers, 27. Juli 2020: https://trowelblazers.com/2020/07/27/elise-baumgartel/
Ein Teil ihres Nachlasses befindet sich Archiv des Griffith Institute der University of Oxford; dort finden sich auch Verweise auf weiteres Archivmaterial: https://archive.griffith.ox.ac.uk/index.php/baumgartel-collection
Dieser Blogeintrag ist am 26. Oktober 2023 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/3341 erschienen.