Briefe sind für uns im Projekt AktArcha eine wichtige Quelle. Viele der Briefe, die wir bei unseren Forschungen zu frühen Archäologinnen auswerten, sind unpubliziert und können nur in den Archiven, in denen sie aufbewahrt werden, gelesen werden. Meist finden sie sich in Nachlässen oder Korrespondenzakten. Doch es gibt auch lesenswerte Zusammenstellungen publizierter Archäologinnenbriefe, die wir euch hier als Buchtipps für die Urlaubszeit vorstellen möchten.
Briefe gehören in der Biografieforschung zu den sog. Ego-Dokumenten. Sie wurden in der Regel nur für den oder die Empfänger*in geschrieben, und waren nicht für eine Öffentlichkeit gedacht. Daher ist es zwar auf der einen Seite interessant, Briefe von oder an die frühen Archäologinnen zu lesen, als historische Quellen müssen sie jedoch auf der anderen Seite auch immer umfassend kontextualisiert und eingeordnet werden.
Von zwei frühen Archäologinnen sind erhaltene Briefe in Buchform publiziert: Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797-1857) und Johanna Mestorf (1828-1909).
Beide Sammlungen möchten wir hier auch als Lesetipps vorstellen. Dabei wurden nicht nur die handschriftlich verfassten Briefe transkribiert und in getippten Text überführt, sie wurden auch mit Anmerkungen und Einordnungen versehen. In Fußnoten finden sich etwa Angaben zu genannten Personen und Ereignissen sowie Hinweise darauf, wie diese mit den Absenderinnen und Adressatinnen in Zusammenhang stehen. Ausführliche Vor- bzw. Nachworte setzen die zusammengestellten Briefe in einen weiteren wissenschaftlichen Kontext.
“Hochachtungsvoll Ihrer Autorität ergebenster Gustav Schwantes”
Diese Grußformel, die Gustav Schwantes erstmals in einem Schreiben vom 2. Oktober 1900 benutzte, ist zugleich der Titel der Publikation, in der der Briefwechsel zwischen Johanna Mestorf und Gustav Schwantes aus den Jahren 1899 bis 1909 vorgelegt wird. Herausgegeben und eingeleitet wurde dieses Buch von der Historikerin und Archivarin Dagmar Unverhau, die sich jahrelang mit dem Nachlass Johanna Mestorfs beschäftigt hat.
Gustav Schwantes (1881-1960) ging noch zur Schule, als er begann, sich für Archäologie zu interessieren. Mit 16 Jahren nahm er an Ausgrabungen von eisenzeitlichen Urnengräberfeldern teil und beschäftigte sich in der folgenden Zeit mit den damals verfügbaren Veröffentlichungen zur Chronologie derartiger Bestattungsplätze. Auch Johanna Mestorf hatte dazu publiziert. Seine Fragen und Überlegungen brachten Gustav Schwantes dazu, am 28. Dezember 1899 einen langen Brief an Johanna Mestorf zu schreiben: Dies war der Auftakt eines 10-jährigen Briefwechsels, der erst durch den Tod Johanna Mestorfs beendet wurde.
Johanna Mestorf (1828-1909). Zeichung: Jens Notroff
Glücklicherweise sind sowohl von Johanna Mestorf als auch von Gustav Schwantes umfangreiche Nachlässe erhalten geblieben: Dadurch konnte dieser Briefwechsel in chronologischer Reihenfolge rekonstruiert werden. Die Briefe werden in der Umschrift von Dagmar Unverhau in ihrer zeitlichen Abfolge präsentiert, so dass die Konversation zwischen Mestorf und Schwantes inhaltlich gut nachvollzogen werden kann. Zugleich ist es spannend, wie die Briefe formuliert sind: Insbesondere in den ersten Schreiben von Gustav Schwantes ist an der Wortwahl der große Respekt zu bemerken, den er für Johanna Mestorf empfand. Die Antworten von Johanna Mestorf wiederum zeigen, dass sie ihrem Briefpartner auf Augenhöhe begegnete; dies änderte sich auch nicht, als sie von seinem jugendlichen Alter erfahren hatte. Insgesamt ist der Briefwechsel zwischen Johanna Mestorf und Gustav Schwantes ein spannendes und lesenswertes Zeitzeugnis.
Biografische Angaben:
Dagmar Unverhau (Hrsg.), “Hochachtungsvoll Ihrer Autorität ergebenster Gustav Schwantes”. Der Briefwechsel zwischen Gustav Schwantes und Johanna Mestorf 1899 bis 1909 und seine Verwendung im Prioritätsstreit mit Friedrich Knorr. Schriften des Archäologischen Landesmuseums 5 (Neumünster 2000).
Briefe an Sibylle Mertens-Schaaffhausen
Theo Clasen und Walther Ottendorff-Simrock stellten in dem gleichnamigen Band jene Briefe an Sibylle Mertens-Schaaffhausen zusammen, die in der Bonner Universitätsbibliothek aufbewahrt wurden, und konnten sie um 36 Schreiben aus dem Privatbesitz ergänzen . Im Gegensatz zum Briefwechsel zwischen Johanna Mestorf und Gustav Schwantes, wo wir beide Seiten der Korrespondenz kennen und so die schriftliche Unterhaltung zwischen beiden lückenlos nachvollziehen können, ist hier in der Regel nur eine Seite der Konversation bekannt. Es sind nur wenige von Sibylle Mertens-Schaaffhausen geschriebene Briefe erhalten: Insofern war es ein großer Glücksfall, dass Rudolf Noll im Archiv des Kunsthistorischen Museums in Wien einige Briefe von ihr entdeckte und 1985 publizierte. Der weitaus größere Bestand besteht aus Schreiben, die an Sibylle Mertens-Schaaffhausen gerichtet waren. Wir können hier die schriftlichen Unterhaltungen also nicht so nachvollziehen wie etwa in dem oben genannten Briefwechsel zwischen Johanna Mestorf und Gustav Schwantes. Nichtsdestotrotz sind diese Briefe spannende Zeitzeugnisse und lassen einen Blick auf die sehr unterschiedlichen Rollen zu, die Sibylle Mertens-Schaaffhausen im Laufe ihres Lebens einnahm.
Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797-1857). Zeichnung: Jens Notroff
Theo Clasen und Walther Ottendorf-Simrock präsentieren in ihrem 1974 erschienenen Buch insgesamt 272 an Sybille Mertens-Schaaffhausen gerichtete Briefe aus den Jahren 1823 bis 1855. Die Herausgeber geben in Fußnoten Hinweise zu den Absender*/innen der Briefe und kontextualisieren in ihren Anmerkungen Angaben und Ereignisse, auf die in den Schreiben Bezug genommen wird; in französisch, englisch oder italienisch verfasste Schreiben wurden nur als Übersetzungen in den Sammelband aufgenommen. Ansonsten bleiben die Texte aber weitgehend unkommentiert, und stehen größtenteils für sich selbst. Sie werden in chronologischer Reihenfolge dargeboten, so dass Briefe von Freund*innen und aus der Familie neben Briefen von Wissenschaftlern und Bittstellern gezeigt werden.
Die Publikationen der Briefe von Sibylle Mertens-Schaaffhausen
Rudolf Noll gab 1985 „Unbekannte Briefe der rheinischen Altertumsfreundin Sibylle Mertens-Schaaffhausen“ heraus. Darin veröffentlichte er 19 Briefe, die sie an den Altertumskundler und Numismatiker Anton Steinbüchel von Rheinwall (1790-1883) schrieb. Auch hier sind die Briefe mit Anmerkungen in Fußnoten versehen, um genannte Personen und Ereignisse einzuordnen. Zusammen mit einigen Briefen aus der Publikation von Theo Clasen und Walther Ottendorf-Simrock kann in diesem Fall eine briefliche Unterhaltung zumindest teilweise rekonstruiert werden.
Die Briefe von und an Sibylle Mertens-Schaaffhausen sind ebenfalls spannende Zeitzeugnisse, und lassen Schlaglichter auf ihr Leben zu. Wer sich tiefergehender mit Sibylle Mertens-Schaaffhausen beschäftigen möchte, sollte zusätzlich auch die über sie geschriebenen Biografien und Aufsätze heranziehen.
Biografische Angaben:
Theo Clasen / Walther Ottendorff-Simrock (Hrsg.), Briefe an Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 3 (Bonn 1974).
Rudolf Noll (Hrsg.), Unbekannte Briefe der rheinischen Altertumsfreundin Sibylle Mertens- Schaaffhausen. Sitzungsberichte der Österreichische Akademie der Wissenschaften Philosophisch-Historische Klasse 450 (Wien 1985).
In beiden Fällen sind von den frühen Archäologinnen nicht alle bekannten Briefe transkribiert, kommentiert und veröffentlicht worden. Im Falle von Johanna Mestorf war es einerseits die Vollständigkeit der Korrespondenz mit einem jüngeren Fachkollegen, die Seltenheitswert hatte, andererseits aber auch die fachgeschichtliche Bedeutung der Briefe im sogenannten Prioritätenstreit zwischen Gustav Schwantes und Friedrich Knorr (1872-1936) um die zeitliche Gliederung der norddeutschen Eisenzeit, die zur Publikation der Schreiben führten. Im Falle von Sibylle Mertens-Schaaffhausen war es vor allem der Ort, an dem die Briefe aufbewahrt wurden, die zur Aufnahme in einen Sammelband führten.
Dieser Blogeintrag ist am 20. Juli 2023 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/2668 erschienen.