Doris Gutsmiedl-Schümann

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@histrach postete am 14.8.2018 folgende Frage auf Twitter: Mehr als 50 % der Archäologie Studierenden sind weiblich. Bislang habe ich 8 Doktoranden betreut, alle davon männlich. Wie gelingt es mir, mehr Frauen zu einer Promotion zu ermuntern?

Dieser Tweet spricht ein vielschichtiges Phänomen an, das sich zwar zum einen auch in größerem Maßstab in Zahlen belegen lässt, zu dem aber zum anderen tiefer gehende Untersuchungen für die archäologischen Fächer – oder auch für einzelne Archäologien – fehlen. Einige verfügbare Daten und weiterführende Überlegungen zu dem von @histrach skizzierten Phänomen möchte ich hier zusammenstellen.

Schauen wir zunächst auf ein paar Zahlen, die das statistische Bundesamt für die archäologischen Fächer an Universitäten bereithält:

  • Vom Wintersemester 1998/1999 bis zum Wintersemester 2015/2016 schwankte der Anteil der Studienanfängerinnen in den archäologischen Studiengängen um 60%; dabei wurde die 55%-Marke nicht unterschritten, die 65%-Marke aber auch nicht überschritten (Link zur Grafik)
  • Im gleichen Zeitraum lag der Anteil der Frauen unter den Studierenden aller Semester regelhaft über 50%, überschritt aber auch nicht die 60%-Marke (Link zur Grafik)

Beim Blick auf die erfolgreichen Abschlüsse in den archäologischen Fächern stellt sich jedoch das Problem, dass in den offiziellen Statistiken nur zwischen “Ur- und Frühgeschichte” und “Archäologie” unterschieden wird: Während also auf der einen Seite die Abschlüsse in Ur- und Frühgeschichte oder prähistorischer Archäologie gut zuzuordnen sind, werden unter “Archäologie” die Abschlüsse verschiedener archäologischer Fächer zusammengefasst. Folgendes kann diesen Zahlen entnommen werden:

  • sowohl in der Ur- und Frühgeschichte als auch in der “Archäologie” haben in der Regel jeweils mehr Frauen als Männer einen Masterabschluss erworben (Link zur Grafik)

  • Bei der Anzahl der Promotionen in der Ur- und Frühgeschichte hingegen liegen die Männer in den meisten Jahren vorne

  • Promotionen in “Archäologie” werden jedoch wiederum häufiger von Frauen abgeschlossen (Link zur Grafik)

Für die Prähistorische Archäologie zeichnet sich damit ab, dass sich überdurchschnittlich viele Frauen entweder nach dem Master (bzw. in alten Studienordnungen nach dem Magister oder Diplom) oder während der Arbeit an einer Dissertation dazu entscheiden, die Promotion nicht zu anzustreben. Werden aber alle abgeschlossenen Doktorarbeiten in allen archäologischen Fächern zusammengefasst, dann liegen in manchen Jahren die Männer vorne, in manchen Jahren die Frauen. (Link zur Grafik)

Wie sieht es mit den für Abschlussarbeiten gewählten Themen aus? Lassen sich hier Tendenzen in der Themenwahl feststellen? Hierzu haben Mirjam Haidle und Linda Owen 1998 eine umfangreiche Studie vorgelegt, und hierbei Ergebnisse anderer Länder mit einbezogen. Sie fassen die Grundzüge der Themenwahl und die Wahl der methodischen Forschungsansätze speziell in der Ur- und Frühgeschichte mit “[…] der Ausgräber vs. die Analytikerin” (1) plakativ zusammen. Eine neuere Analyse der Promotionsthemen, wie sie für die Prähistorische Archäologie etwa jährlich in den Kleemann-Heften, für die Klassische Archäologie in den Mitteilungen des Deutschen Archäologenverbands (DArV) zusammengestellt werden, steht meines Wissens noch aus.

Vielerorts wird die Promotion als erster Schritt auf dem Weg in eine universitäre Laufbahn gesehen und vermittelt. Angesichts der Vorgaben des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und in Anbetracht der wenigen unbefristeten Mittelbaustellen an Universitäten läuft dies damit auch implizit auf das Karriereziel Professur hinaus. Es verwundert daher im Lichte der immer noch kleinen Anzahl von Professorinnen in archäologischen Fächern nicht, dass sich Frauen angesichts dieser Zahlen und auf Grund fehlender Vorbilder in einigen archäologischen Disziplinen seltener auf diesem Weg sehen. Dass der Doktortitel auch in anderen archäologischen Arbeitsfeldern nützlich ist, oder sogar notwendig sein kann, wird dabei eher seltener gesehen. Umso wichtiger ist es daher, dass studienbegleitend Veranstaltungen zur Berufsorientierung angeboten werden, und insbesondere Masterstudierende in eigens dafür ausgerichteten Veranstaltungen die Möglichkeit erhalten, sich über die Vorteile, aber auch die Nachteile einer Promotion zu informieren: Für die archäologischen Fächer bietet z.B. die AG Wissen.Schafft.Karriere des DArV entsprechende Workshops an.

Häufig in der Eingangsphase des Studiums gelesene Einführungen in die Archäologie, in die Vor- und Frühgeschichte, in die Prähistorische Archäologie oder die Mittelalterarchäologie sind häufig von Männern geschrieben, und vermitteln damit schon in den ersten Semestern den Eindruck, dass männliche Archäologen diejenigen sind, die das Fach erklären und seine Methoden vermitteln. Dieser Eindruck setzt sich im Laufe des Studiums dann immer weiter fort – auch unterstützt von den in den archäologischen Fächern üblichen Zitierrichtlinien: Sowohl das Zitiersystem der RGK also auch das des DAI kürzen die Vornamen der Autorinnen und Autoren ab, und verbergen damit den Bestandteil des Namens, der Hinweise auf das Geschlecht geben könnten.

Um Frauen als Forscherinnen und damit als mögliche Vorbilder sichtbar zu machen, muss daher bereits früh im Studium eine Grundlage gelegt werden – etwa, in dem bei der Zusammenstellung von Literatur- und Leselisten auf eine bunte Mischung von Autorinnen und Autoren geachtet wird. Zudem sollten dabei Studierende dazu angehalten werden, die angegebene Literatur nicht nur zu lesen, sondern auch zumindest kurz zu recherchieren, welchen fachlichen Lebenslauf die Autorinnen und Autoren der von ihnen gelesenen Fachliteratur vorweisen können. So lässt sich eine bereits vorhandene Diversität implizit vermitteln, und Studierende können damit einfacher in die Lage versetzt werden, passende Vorbilder für sich zu finden.

Bei all diesen Überlegungen darf aber auch nicht vergessen werden, dass auch in der Promotionsphase der Lebensunterhalt einer Doktorandin oder eines Doktoranden gesichert sein muss – und das nicht erst nach einigen Monaten, sondern von Anfang an. Studierende, die sich das Studium selbst finanzieren müssen, ein Stipendium oder Bafög bekommen, müssen sich zum Masterabschluss in der Regel auch mit der Frage auseinandersetzen, wie sie sich nach dem Wegfall der an den Studierendenstatus gekoppelten Einnahmequelle finanzieren. Wenn in dieser Phase nicht die Familie aushelfen kann oder Erspartes vorhanden ist, so dass einige Monate mit der Suche nach einem Promotionsthema, nach einem passenden Betreuer bzw. einer passenden Betreuerin und einer Finanzierung für die Doktorarbeit verbracht werden können, bleibt nach dem Masterabschluss nur der Weg in eine wie auch immer geartete Erwerbstätigkeit. Und von dort ist der Weg zurück an die Universität weit…

P.S.: In einem Interview mit L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung, wurden Dr. Katharina Herrmann und ich zur Promotion als Perspektive in den Geisteswissenschaften befragt.

(1) Mirjam Haidle/Linda Owen, Ur- und Frühgeschichtlerinnen nach der Promotion: eine schützenswerte Spezies? Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 39/3, 1998, 563-594; hier: 565

Nachtrag (29.8.2018):

Die AG Promotion des Dachverbandes Archäologischer Studierendenvertretungen e.V. hat sich bereits mit verschiedenen Themen rund um die Promotion beschäftigt, Umfragen durchgeführt, und ihre Ergebnisse veröffentlicht:

Beide Artikel sind über die academia.edu-Seite von Thimo Jacob Brestel als PDFs verfügbar.


Dieser Blogeintrag ist am 26. August 2018 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/166 erschienen.

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Forschende - Lehrende - Archäologin | Prähistorikerin - Hochschuldidaktikerin