“Inverted classroom”
Lehre auf den Kopf gestellt?
Ein Vortrag auf dem Dies Academicus der Universität Bonn im Wintersemester 2013/2014, “Vorlesung mit Pause-Taste” von Dr. Pascal Bihler und Prof. Carsten Urbach, sowie der Vortrag “Kino fäll t aus” von Prof. Gabi Reinmann, Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen, brachten mich auf die Idee, mich auch einmal näher mit dem Thema “inverted classroom” oder “flipped classroom” zu beschäftigen.
Was ist nun aber das “umgedrehte”, das diese Art der Lehre auszeichnet? Nun, kurz und wohl auch sehr vereinfachend zusammengefasst, zeichnen sich viele Lehrveranstaltungen dadurch aus, dass in der Präsenzzeit ein bestimmter Wissenstand erarbeitet wird, den die Studierenden dann bis zur nächsten Sitzung eigenverantwortlich vertiefen und anwenden. Beim “flipped” oder “inverted” classroom wird dieses Prinzip umgedreht: Den Studierenden wird Material zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe sie sich auf die Präsenzsitzung vorbreiten können, um dann die Anwendung und Vertiefung des erarbeiteten Wissenstands in der Lehrveranstaltung selbst zu betreiben.
Die Möglichkeit, eine Übung im “invertred classroom” anbieten zu können, ergab sich für mich im Wintersemester 2014/2015. Thema der Übung war “Analysen in der Gräberfeldarchäologie”. Ziel der Übung war, den Studierenden verschiedene Wege zur Auswertung von archäologisch erschlossenen Gräberfeldern aufzuzeigen, und sie diese Methoden und Arbeitstechniken am Beispiel des frühmittelalterlichen Gräberfelds Straubing-Bajuwarenstraße auch selbst anwenden zu lassen. Das Beispiel Straubing-Bujuwarenstraße habe ich gewählt, da diese Nekropole zwar in einem guten Katalog vorgelegt wurde, und auch einige ergänzende Materialien digital bzw. online publiziert wurden, eine umfassende Auswertung des Gräberfelds bis heute jedoch nicht verfügbar ist. Die Studierenden konnten somit auf gutes Anschauungs- und Arbeitsmaterial zurückgreifen, mussten jedoch auch selbst Hand anlegen, wenn sie Aussagen treffen wollten, und konnten diese nicht aus einer bereits publizierten Auswertung abschreiben.
Da meine Übung unter anderem auch für Erstsemester angeboten wurde, mussten in dieser Veranstaltung entsprechend viele Grundlagen zu der archäologischen Quelle “Grab”, zu ihrer Entstehung und den möglichen Wegen zur Gräberanalyse geklärt werden. Hierzu habe ich kurze Podcasts erstellt, deren Inhalte sich die Studierenden zur Vorbereitung auf eine Sitzung selbständig erarbeiten sollten. Die Podcasts wurden ergänzt von zu lesender Grundlagenliteratur und von Fragen bzw. Aufgaben, die mit ihrer Hilfe zu bearbeiten waren.
Technisch habe ich das Erstellen der Podcasts auf sehr einfachem Wege gelöst: Ich habe einfach Power Point Folien erstellt, und mit Hilfe der in diesem Programm gegebenem Möglichkeit, Folien mit einer Tonspur zu versehen, meinen Vortragstext zu diesen Folien aufgenommen. Das Resultat ließ sich dann auch als Videodatei speichern, und als Podcast auf den e-campus der Universität Bonn hochladen. Die Tücken beim Erstellen dieser Videos zeigten sich jedoch wie so oft im Detail: Da ich keine Möglichkeit hatte, während ich redete, auf den Folien etwas zu zeigen, musste ich Hervorhebungen o.ä. vorab mit Hilfe von Animationen in die Präsentation einbauen, was den Zeitaufwand zum Erstellen der Folien deutlich erhöht hat. Zudem bemerkte ich bei den ersten Testläufen mit eingesprochenem Text, dass sich ein frei gesprochener Vortrag gar nicht gut anhört – der frei erzählende Vortagsstil passte so gar nicht zu der professionellen Anmutung der aufgezeichneten Folien, außerdem war dem Inhalt schwer zu folgen. Als ich mich dann dazu entschlossen hatte, die Texte für die Podcasts vorzuformulieren, aufzuschreiben und abzulesen, hörte sich das Ergebnis deutlich besser an. Das Vorformulieren der Texte bedeutete jedoch auch wieder zusätzliche Arbeitszeit, die für die Vorbereitung eines Podcasts genutzt werden musste.
Die erste Sitzung nach einer Online-Phase verlief jedoch für mich als Dozentin zunächst einmal eher enttäuschend: Bei dem Versuch, die Inhalte, die sich die Studierenden selbst erschließen sollten, auf ein Beispiel anzuwenden, stieß ich auf das große Schweigen. Auch Nachfragen zu einzelnen Aspekten der Online zur Verfügung gestellten Materialien wurden nur von den Studierenden beantwortet, die sich auch sonst oft zu Wort meldeten. Auf explizite Nachfrage, wer sich denn mit dem Material in Vorbereitung auf diese Stunde überhaupt beschäftigt habe, meldeten sich dann jedoch alle anwesenden Teilnehmenden. Als ich daraufhin anfing, die Studierenden bunt durcheinander einfach aufzurufen und um Statements zu bitten, war das Eis gebrochen, und nahezu alle meldeten sich im Laufe der Sitzung irgendwann zu Wort.
Ein persönliches Fazit: Ich denke, vor allem für jemanden, der neu in die akademische Lehre einsteigt und sich für jede Sitzung genau überlegt, was er/sie wann machen will, oder für Themen, die man sich für eine Lehrveranstaltung auch selbst neu erschließe muss, sind “inverted classrooms” eine gute Option, die in der Vorbereitungszeit einer Veranstaltung bzw. eines Semesters auch nicht weiter auffallen. Besonders lohnt es sich, Unterrichtsmaterialien für einen “inverted classroom” zu erstellen, wenn dieser wiederholt angeboten werden kann, z.B. im Rahmen von Grundlagenmodulen.
Links:
Vortragsmitschnitt von Dr. Pascal Bihler und Prof. Carsten Urbach: http://sam.iai.uni-bonn.de/people/PascalBihler/dies2013.html
Vortragsscript von Prof. Gabi Reinmann: http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2010/03/Vortrag_Dresden_Maerz10.pdf
Dieser Blogeintrag ist am 17. Januar 2016 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/86 erschienen.