Motivation durch Partizipation?
Reflektion eines didaktischen Elements aus dem Sommersemester 2016
Wie lassen sich Studierende in Veranstaltungen, die v.a. auf Frontalunterricht ausgelegt sind, motivieren?
Einführung und Hintergrund
Ein wesentlicher Unterschied, der sich in Studiengängen vor und nach der sog. „Bologna-Reform“ erkennen lässt, liegt in den grundlegenden Elementen der Studiengangsgestaltung. Standen in den alten Magister-Studiengängen in der Regel zunächst einmal die Inhalte, und damit auch die Dozentinnen und Dozenten mit ihrer Expertise als Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler im Mittelpunkt, so stellt das idealtypische Studiengangskonzept des Bologna-Prozesses die Ergebnisse des Lernprozesses, die „Outcomes“, und damit die Studierenden in den Mittelpunkt.
Somit wird in einem Studiengang, in den Modulen eines Studiengangs und in den Lehrveranstaltungen eines Moduls zunächst einmal verbindlich festgelegt, was die Studierenden, die diese Veranstaltung oder dieses Modul erfolgreich absolviert haben, wissen und können sollten – und erst dann werden die Lehr/Lern-Aktivitäten der Dozentinnen und Dozenten darauf abgestimmt. In Lehrveranstaltungen, die nach dem pädagogischen Konzept des Constructive Allignment nach John Biggs und Catherine Tang (1) entworfen wurden, wird konsequent nach diesem Muster vorgegangen: Nach dem Motto „What you test is what they learn“ (2) werden hier zunächst die Lehr/Lernziele festgelegt, dann eine passende Prüfungsform gewählt, mit der diese Ziele gut zu erreichen und abzubilden sind, und schließlich die Lehr/Lernaktivitäten der Lehrveranstaltung bzw. deren didaktisches Design darauf abgestimmt. (3)
Grundlegende Überlegungen zum Grundkurs IV
Im Sommersemester 2016 unterrichte ich in mit dem Grundkurs IV des BA Altertumswissenschaften, Profilbereich prähistorische Archäologie, das Modul zur Einführung in die Archäologie des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Laut Modulplan sollen die Studierenden, die dieses Modul erfolgreich absolviert haben, grundlegende Kenntnisse über diesen Zeitraum besitzen. Sie sollen wesentliche kulturgeschichtliche Entwicklungen beschreiben und wichtige archäologische Leitformen chronologisch, räumlich und kulturell einordnen können. Als Form wird für diese Veranstaltung der in der Studienordnung definierte Einführungskurs vorgegeben: Die vorrangige Lehrform ist hier der Vortrag der jeweiligen Lehrkraft.(4)
Diese Vorgaben bieten mir als Lehrende eine ganze Reihe gestalterischer Freiheiten, sowohl im inhaltlichen wie auch im didaktischen Design meines Einführungskurses. So ist es beispielsweise mir überlassen, anhand von welchen Fundstellen und von welchen Beispielen ich den laut Studienordnung geforderten „Überblick über die Archäologie des ersten nachchristlichen Jahrtausends in zeitlicher und räumlicher Differenzierung“ (5) vermittle. Hier können die persönlichen Vorlieben, im Idealfall auch die konkreten Forschungen und Forschungsergebnisse eines Dozenten/einer Dozentin in die Lehre mit einfließen.
Wie stelle ich nun aber angesichts der vorgegebenen Unterrichtsform, die von den Studierenden vorrangig passives Rezipieren des Stoffes verlangt, sicher, dass sich die Studierenden auch aktiv mit den Inhalten der Veranstaltung auseinandersetzen? In dieser Hinsicht ist die Prüfungsform dieses Moduls sicherlich geschickt gewählt: In einer Klausur soll das, was im Laufe des Semesters gelernt wurde, abgeprüft werden. Doch verbergen sich in der Prüfungsform Klausur in Verbindung mit einer vorgegebenen Unterrichtsform, die wenig aktivierende Anteile für die Studierenden bereithält, m.E. auch einige Tücken. So besteht z.B. die Gefahr, dass die Studierenden das Gefühl haben, die Inhalte der Unterrichtseinheiten gut zu kennen, wenn sie sich die Folien der einzelnen Sitzungen immer wieder ansehen, oder wichtige Leitformen in den Veranstaltungen immer wieder präsentiert bekommen. Dass dieses Wissen „träges Wissen“ ist, dass sich bei Bedarf eben nicht so einfach wieder abrufen lässt, bemerken sie im schlimmsten Fall erst während der Klausur, die dann entweder schlecht ausfällt, oder gar nicht bestanden wird (6).
Motivation durch Partizipation (7): Ansatzpunkt Klausurfragen
Aus Studierendensicht dürfte im Grundkurs IV vor allem den Klausurerfolg und damit das möglichst gute Bestehen des Moduls im Vordergrund stehen. Demzufolge dürften auch ihre Lernaktivitäten zunächst einmal auf dieses Ziel ausgerichtet sein, und es kann von einer leistungsbezogenen Lernmotivation ausgegangen werden. Dass das, was in dieser Veranstaltung vermittelt wird, auch nützlich für andere Module und deren Veranstaltungen sein kann, oder für das spätere Berufsleben wichtig sein könnte, dürfte den meisten Studierenden zwar im Prinzip klar sein, angesichts der anstehenden Prüfung ist dies jedoch zunächst einmal zweitrangig. Daher war die Prüfung auch mein Ansatzpunkt, um die Studierenden einerseits aktiv mit in das Unterrichtsgeschehen einzubinden, andererseits um eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Inhalten des Moduls zu fördern.
Hierzu habe ich eine Idee aufgegriffen, von der ich vor einiger Zeit in einem Vortrag der Hochschuldidaktikerin Gabi Reinmann gehört habe. Unter dem Titel „Kino fällt aus: Erfahrungen und Folgerungen aus einem Pilotprojekt zur mediendidaktischen Umgestaltung einer Vorlesung“ (8) beschreibt sie unter anderem, wie die Prüfungsgestaltung durch vorab von den Studierenden in einem Wiki formulierte Fragen und zugehörige Antworten auf ein user-generated assesment umgestellt wurde (9). Die Studierenden wurden daher zu Beginn des Einführungskurses in Arbeitsgruppen eingeteilt, in denen sie potentielle Klausurfragen mit zugehörigen Antworten erarbeiten sollten. Die Fragen mit ihren Antworten sollten sich die Studierenden dann zunächst gegenseitig in ihren Arbeitsgruppen reviewen. Erst wenn die potentiellen Klausurfragen dieses Review durchlaufen hatten, sollten die Fragen mit den zugehörigen Antworten in ein spezielles Forum des zu dieser Veranstaltung gehörenden e-campus-Kurses eingestellt werden. Die in dieses Forum eingestellten Fragen mit den zugehörigen Antworten wurden dann von mir als Dozentin begutachtet, und entweder für den Klausurfragenpool angenommen, mit Verbesserungsvorschlägen versehen an die Studierenden zurückgeben oder abgelehnt. So kam im Laufe des Semesters ein für alle Studierenden einsehbarer Fragenpool zu Stande. Als zusätzliche Zielvorgabe sollte eine bestimme Anzahl von Klausurfragen bis zu einem bestimmten Termin etwa 10 Tage vor der Klausur erreicht werden. Hierzu wurde in der ersten Sitzung der Veranstaltung eine Zahl, basierend auf der Anzahl der in der Veranstaltung angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bekannt gegeben: Pro Studierendem wurde eine Klausurfrage erwartet. Wenn diese Zielvorgabe erreicht wird, so lautete die Ansage, werden die Hälfte der Klausurfragen aus diesem Fragenpool entnommen werden.
Das teilweise user-generated assesment im Sommersemester 2016
Diese Zielvorgabe lag im Sommersemester 2016 bei 48 Fragen, die von Dozentenseite auch angenommen sein mussten. Im Verlauf des Semesters war zu beobachten, dass zunächst einmal einige Woche gar nichts passierte: Das entsprechende Forum blieb leer, und keine Arbeitsgruppe zeigte mir gegenüber Aktivität. Erst in etwa ab der Mitte des Semesters kamen die ersten Studierenden mit Fragen zum Entwerfen der Klausurfragen zu mir, und stellten auch kurz darauf erste Fragenvorschläge mit den zugehörigen Antworten in das entsprechende Forum ein.
Am Stichtag lagen schließlich 49 eingereichte und von Dozentenseite angenommene Fragen mit zugehörigen Antworten vor. 16 Studierende haben Fragen eingereicht; dabei schwankte die Zahl der erstellten Fragen pro Studentin/pro Student zwischen einem und mehr als 10 Vorschlägen. 37 Fragenvorschläge gingen auf nur 7 Studierende zurück.
Die Klausur am Ende des Semesters bestand schließlich aus 14 Fragen: 7 der Fragen wurden aus dem o.g. von Studierenden generierten Fragenpool aus 49 Fragen entnommen. Das Klausurergebnis fiel insgesamt auch recht gut aus: Alle Studierenden, die sich am Erstellen von Fragen beteiligt hatten, haben die Klausur im ersten Versuch bestanden, und auch bei den anderen Klausurteilnehmerinnen und -teilnehmern fiel die Durchfallquote sehr niedrig aus. Überraschenderweise war der Notendurchschnitt in der Gruppe der Studierenden, die am Erstellen von Klausurfragen mitgewirkt hatten, nur geringfügig besser als über den ganzen Kurs gerechnet: Möglicherweise ist dies auch ein Hinweis darauf, dass sich auch diejenigen, die keine Fragen eingereicht haben, mit den Inhalten des Grundkurses IV intensiver auseinandergesetzt haben, jedoch aus unbekannten Gründen nicht so weit gekommen sind, Klausurfragen zu entwerfen.
Schlussbetrachtung
Auch wenn sich nicht alle Studierenden des Moduls am Entwurf von Klausurfragen beteiligt haben, so wurde das Ziel, dass ich mit dieser didaktischen Maßnahme verfolgt habe, doch erreicht: Die gute Bestehensquote der Klausur zeigt, dass sich die Studierenden bereits im Laufe des Semesters mit den vorrangig in Frontalunterricht präsentierten Inhalten des Grundkurses zur Einführung in die Archäologie des ersten nachchristlichen Jahrtausends auseinandergesetzt haben.
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(1) John B. Biggs/Catherine Tang, Teaching for quality learning at university (Maidenhead 2007).
(2) Zusammenfassend hierzu siehe auch: Julia Gillen, Kompetenzorientierung als didaktische Leitkategorie in der beruflichen Bildung – Ansatzpunkte für eine Systematik zur Verknüpfung curricularer und methodischer Aspekte. bwp@ – Berufs- und Wirtschaftspädagogik online 24, 6/2013, online abrufbar unter http://www.bwpat.de/ausgabe/24/gillen [16.9.2016].
(3) Eine informative Übersicht und kurze Einführung in das Constructive Alignment findet sich z.B. auf der Webseite der TU München: https://www.lehren.tum.de/themen/lehre-gestalten-didaktik/erfolgsfaktoren-guter-lehre/constructive-alignment/ [16.9.2016].
(4) Siehe Amtsblatt der Freien Universität Berlin 85/2012, 1939-1940 (§2: Lehr- und Lernformen), 1999 (Modulbeschreibung) und 2050 (Angaben zur Prüfung): http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/praehist/Studium/StO_PrO/BA2012.pdf [16.9.2016].
(5) Amtsblatt der Freien Universität Berlin 85/2012, 1999 (s. Anm. 3).
(6) Zu den didaktisch problematischen Aspekten von Vorlesungen oder vergleichbaren Unterrichtsformen siehe z.B. Gabi Reinmann/Christian Jocher-Wiltschka, Kino fällt aus: Konzept und Erprobung einer Alternative zur Vorlesung. Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Forschungsnotiz Nr. 2, Juni 2010, S. 1 (mit weiterer Literatur): http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2013/05/forschungsnotiz_2010_02.pdf [21.12.2016].
(7) Zur Problematik der Partizipation im Unterricht siehe z.B. K. Mayrberger, Partizipatives Lernen mit dem Social Web gestalten. Zum Widerspruch einer ‹verordneten Partizipation›. In: MedienPädagogik 21/2012. Online verfügbar unter www.medienpaed.com/21/mayrberger1201.pdf [21.12.2016].
(8) Leider ist das Video des Vortrags inzwischen nicht mehr online verfügbar. Der Vortragstext kann jedoch unter http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2010/03/Vortrag_Dresden_Maerz10.pdf [21.12.2016] eingesehen werden.
(9) Gabi Reinmann/Christian Jocher-Wiltschka, Kino fällt aus: Konzept und Erprobung einer Alternative zur Vorlesung. Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Forschungsnotiz Nr. 2, Juni 2010, bes. S. 2: http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2013/05/forschungsnotiz_2010_02.pdf [21.12.2016].
Dieser Blogeintrag ist am 21. Dezember 2016 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/117 erschienen.