Gedanken zum 4. Pandemiesemester:
Lehre vor Ort unter neuen Bedingungen
An vielen Universitäten wird für das nun beginnende Wintersemester 2021/2022 auf Lehre vor Ort gesetzt. Doch was oftmals als “Rückkehr zur Präsenz” bezeichnet wird, ist meines Erachtens eine völlig andere Art der Lehre vor Ort als vor dem Beginn der Covid-19-Pandemie.
Seit im Frühjahr 2020 Covid-19 auch nach Europa kam, und die universitäre Lehre innerhalb weniger Wochen nahezu vollständig auf digitale Formate umgestellt wurde, sind mittlerweile drei Semester mit weitgehend digitalem Studium vergangen. Bereits im ersten Pandemiesemester wurden schon nach wenigen Wochen Forderungen nach einer Rückkehr zur Präsenz laut, und diese Rufe sind auch in den folgenden Pandemiesemestern nicht verstummt.
Nun, im Wintersemester 2021/2022, und damit im 4. Semester in der nach wie vor andauernden globalen Covid-19-Pandemie, ist es vielerorts soweit: Akademische Lehre wird in der Regel wieder in Präsenz angeboten – oder besser: Vor Ort? Die Gegenüberstellung “Präsent – digital” impliziert für mich die Vorstellung von einem digitalen Studium, das so nebenbei läuft: Ein Studium, in dem Lehrende wie Studierenden nicht wirklich präsent sind, und sich nur noch vor dem Bildschirm berieseln lassen. Als Dozentin muss ich jedoch in digitaler Lehre ebenso präsent sein wie bei Lehre vor Ort: Die geistige Anspannung und ungeteilte Aufmerksamkeit haben meine Veranstaltungen immer, egal in welcher Form sie angeboten und durchgeführt werden. Rückmeldungen von Studierenden zeigen mir, dass auch sie ein digitale Studium als anstrengend und fordernd empfinden, genauso wie den Besuch von Lehrveranstaltungen in den Räumlichkeiten einer Universität.
Im aktuellen Semester wird nun also wieder universitäre Lehre vor Ort angeboten. Die Freie Universität Berlin, an der ich im aktuellen Semester eine Gastprofessur bekleide, drückt das im September 2021 folgendermaßen aus: “Zum Wintersemester 2021/22 strebt die Freie Universität Berlin eine grundsätzliche Rückkehr zur Präsenzlehre an.”. Zu Beginn des Wintersemesters heißt es nun: “Wir heißen euch herzlich auf dem Campus willkommen und freuen uns sehr, dass alle die Möglichkeit haben werden, wieder vor Ort zu lernen und zu lehren, zu forschen und zu arbeiten!”
Doch kehren wir wirklich zur Präsenz “zurück”? Meines Erachtens lässt sich die Lehre vor Ort unter Pandemiebedingungen kaum mit der akademischen Lehre vergleichen, wie sie vor dem Sommersemester 2020 üblich war. Die Anordnung der Tische und damit die Sitzordnungen in den Seminarräumen dürfen nicht verändert werden: Auch wenn ich als Lehrende beispielsweise eine Bestuhlung in U-Form bevorzugen würde, oder sie besser zum didaktischen Konzept meines Seminars passen würde, Tische und Stühle müssen parallel und auf Lehrende bzw. Vortragende ausgerichtet bleiben. Studierende wie Lehrende müssen sich mittels QR-Code an ihrem Platz registrieren, und müssen diese Registrierung wiederholen, wann immer sie im Laufe einer Veranstaltung den Platz wechseln. Wenn Studierende also ein Referat halten, und dazu an das Rednerpult treten, müssen sie sich dort erst einmal in der universitätseigenen App zur Kontaktnachverfolgung einbuchen, ehe sie mit ihrem Vortrag beginnen können.
In den Innenräumen der FU Berlin besteht Maskenpflicht: Dort, wo Abstände von 1,5 m eingehalten werden können, genügen medizinische Masken, dort, wo das nicht möglich ist, müssen FFP2-Masken getragen werden. Da in den Fluren, in Warteschlangen, aber auch in kleinen Seminarräumen in der Regel kein Abstandhalten möglich ist, läuft es faktisch also darauf hinaus, dass sowohl Lehrende als auch Studierende den ganzen Tag mit FFP-2 Masken an der Universität sind. Die Verpflichtung zum Tragen einer Maske gilt auch für Vortragende in Lehrveranstaltungen: Vorlesungen, Impulsvorträge und Referate müssen in meinen Veranstaltungen, die in eher kleinen Räumen stattfinden werden, also durch FFP2-Masken hindurch gehalten werden. Damit einher gehen mindestens drei Problemfelder: Die Vortragenden müssen sich an eine neue Art des Sprechens durch die Maske hindurch gewöhnen, und die Zuhörenden müssen zum einen mit akustisch gedämpftem Ton zurechtkommen, und können bei Verständlichkeitsproblemen nicht mehr darauf zurückgreifen, den Vortragenden Worte von den Lippen anzulesen (eine Technik, die auch Hörende unbewusst oft zusätzlich zum Hören einsetzen). Wie gut die mit FFP2-Masken vorgetragenen Inhalte noch zu verstehen sind, wird der Verlauf des Semesters zeigen: Es dürfte sich aber anbieten, die wichtigsten inhaltlichen Punkte immer auch auf Folien oder in ein Handout zu schreiben.
Maskenpflicht in den Innenräumen bedeutet aber auch, dass ein anderes Pausenmanagement nötig ist. Studierenden können nun nicht mehr bereits im Seminarraum oder Hörsaal kurz vor dem Beginn der Veranstaltung schnell noch ein belegtes Brötchen essen, oder einen Kaffee trinken: Dafür müssten sie ja die Maske absetzen. Essen und Trinken muss daher entweder in dafür vorgesehenen Räumen wie der Mensa oder außerhalb der Gebäude stattfinden. Je nach Lage des Veranstaltungsraums und Dauer der Veranstaltung muss ich als Lehrende nun mitbedenken, dass die Studierenden regelmäßige Pausen brauchen, um z.B. etwas trinken zu können, und muss auch für die Wege aus dem und in das Gebäude entsprechend Zeit einplanen.
Ein wichtiger Arbeits- und Aufenthaltsort für Studierende der Archäologien oder Altertumswissenschaften sind die Bibliotheken. Vor der Pandemie war es möglich, zwischen den Lehrveranstaltungen ohne große Planung oder Anmeldung in die Bibliothek zu gehen, und z.B. kurz was nachzulesen, was eben in einer Veranstaltung angesprochen wurde, oder an den eigenen Studien- und Prüfungsleistungen zu arbeiten. Für die Bibliothek stehen jedoch nach wie vor nur eingeschränkt Plätze zur Verfügung, damit in den Lesesälen auch Abstand gehalten werden kann. Aus diesem Grund müssen sich Studierende, die in der Bibliothek arbeiten möchten, vorab anmelden und einen Platz reservieren; Besuche der Bibliothek sind auch mit Reservierung pro Person allerdings nur an 3 Tagen pro Woche möglich. Dies schränkt die Studierenden in ihrem Studium deutlich ein – und ich als Lehrende muss bei der Vergabe von Referats- und Hausarbeitsthemen bedenken, dass Fachliteratur nach wie vor nur eingeschränkt zugänglich ist.
Kehren wir im Studium also zur Präsenz zurück? Ich denke: Nein. Wir versuchen im aktuellen Wintersemester so gut es unter den gegebenen Umständen und mit den bestehenden Einschränkungen geht, akademische Lehre vor Ort anzubieten. Pandemiebedingt wird aber nach wie vor vieles anders ablaufen müssen als vor dem Sommersemester 2020: Gerade für Studierende, die ihr Studium deutlich vor der Covid-19-Pandemie begonnen haben, wird sich das neue Studieren vor Ort ganz anders darstellen, als sie es gewohnt waren. Hier hätte ich mir von Seiten der Hochschulen mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation gewünscht: Unter den gegebenen Umständen können Studierende, die sich auf eine Studieren wie vor der Pandemie freuen, nur enttäuscht werden.
Aber auch mit all den aufgeführten Punkten: Ich freue mich auf das Wintersemester und die damit verbundenen Herausforderungen in der akademischen Lehre!
Dieser Blogeintrag ist am 11. Oktober 2021 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/709 erschienen.