Doris Gutsmiedl-Schümann

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Doris Gutsmiedl-Schümann

Präsenzfreies Sommersemester 2020 (2):

Wie beginne ich meine Vorlesung?

Doris Gutsmiedl-Schümann

5 Minuten Lesezeit

Die ersten Ideen, die ich im Zusammenhang mit präsenzfreien Phasen und digitaler Lehre im Sommersemester 2020 wahrgenommen habe, waren Vorschläge zur Aufzeichnung von Vorlesungen, die sich die Studierenden dann als Video anschauen können. Dies mag bei Vorlesungen, die wiederholt angeboten werden und von einer großen Zahl von Studierenden besucht werden, wie etwa Einführungen in einen Themenbereich oder ein Fachgebiet, auch sinnvoll und bei wiederholter Nutzung der Videos nachhaltig sein; bei meiner Vorlesung, die in dieser Form nur für dieses eine Semester geplant wurde, erschien mir das nicht sinnvoll. Ich habe statt dessen nach anderen Wegen gesucht, den Studierenden einen präsenzfreien Einstieg in das Thema zu ermöglichen: Hierzu sollen sie bereits vorhandene populärwissenschaftliche Formate aus fachwissenschaftlicher Sicht analysieren und beurteilen.

Wie in meinem ersten Beitrag zum präsenzfreien Start ins Sommersemester 2020 bereits erwähnt, ist das Thema meiner Vorlesung „Archäologie des Nordatlantiks“. Im elektronischen Vorlesungsverzeichnis der Universität Bonn wird sie folgendermaßen angekündigt:

„Diese Vorlesung widmet sich der Archäologie des nordatlantischen Raums, und schlägt hierbei einen weiten geographischen und zeitlichen Bogen. Wir beginnen unsere virtuelle Rundreise mit Fundstellen im norwegischen Fjord- und Küstengebiet, und betrachten im Laufe des Semesters Fundstellen u.a. auf den Orkney Islands, den Shetland Islands, Färöer, Island und Grönland. Die gewählten Beispiele decken einen breiten zeitlichen Rahmen von der Steinzeit bis hin zur Wikingerzeit, mit Schwerpunkt auf den Epochen der Frühgeschichte ab; vereinzelt gehen wir mit mittelalterlichen und neuzeitlichen Fundstellen auch darüber hinaus.“

Für die Vorlesung, die eigentlich am 9. April beginnen sollte, fallen nach aktuellem Stand der Dinge (19.3.2020) bis zum Beginn der Vorlesungszeit mindestens zwei Sitzungen weg, so dass ich im Verlauf des Semesters die geplanten Themen in den einzelnen Sitzungen etwas zusammenfassen muss. Doch auch jenen Teil der ersten Präsenzsitzung, der als grundlegendere Einführung in das Thema konzipiert ist, kann ich kürzer gestalten, wenn die Studierenden vorab die Möglichkeit hatten, in das Thema der Vorlesung hineinzufinden.

Um nun den Studierenden einen selbstgesteuerten Einstieg in das Thema der Vorlesung zu ermöglichen, habe ich mir vor allem die erste Sitzung des Semesters vergegenwärtigt, und mir bewusst gemacht, welchen Voraussetzungen ich hier begegne, und welche Ziele ich mit dieser Einführung verfolge:

  • In der Vorlesung befinden sich Studierenden aus unterschiedlichen Studiengängen und Semestern: Sowohl Bachelor- als auch Masterstudierende, sowohl mit einem Schwerpunkt in Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie, als auch mit Schwerpunkten in anderen Archäologien sowie in Altertums- und Kulturwissenschaften
  • Diese Studierenden bringen zum einen sehr unterschiedliches Vorwissen zu archäologischen Themen allgemein und zum Thema der Vorlesung im Besonderen mit, zum anderen haben sie alle unterschiedliche Vorstellungen von den Inhalten, die sie in der Vorlesung erwarten
  • Ziel der Einführung ist es daher, dass möglichst alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einen gemeinsamen Stand kommen, von dem aus in den folgenden Sitzungen der Vorlesung weitergearbeitet werden kann

Diesen gemeinsamen Stand als Ausgangsbasis sollen sich nun die Studierenden jeweils individuell in der präsenzfreien Zeit erarbeiten. Hierfür nutze ich einen großen Vorteil von Archäologie und archäologischen Themen: Sie interessieren auch eine breite Öffentlichkeit, und demzufolge gibt es ein großes Angebot an TV-Dokumentationen, Videos oder Podcasts zu archäologischen Themen, von denen viele frei im Internet verfügbar sind. Dabei gibt es meines Erachtens zwischen der die Zielgruppe, für die diese Produktionen erstellt werden, und den Studierenden in einer Vorlesung zu Beginn des Semesters deutliche Gemeinsamkeiten: Beide interessieren sich für das Thema, und haben ein allgemeines Vorwissen, das im Laufe der Sendung zum einen aktiviert wird, und zum anderen durch Beispiele vertieft wird.

Für den Einstieg in das Semesterthema „Archäologie des Nordatlantiks“ habe ich mich dazu entschieden, zwei populäre Formate zu verlinken, die die Studierenden wahlweise bearbeiten können. Dabei handelt es sich zum einen um eine TV-Dokumentation aus der Reihe „Terra X“, „Kolumbus und die wahren Entdecker Amerikas“, zum anderen um ein sog. „Doku-Drama“, welches als komplementäres Material zur „Wikinger“-Ausstellung 2014/2015 im Martin-Gropius-Bau Berlin angefertigt wurde, und welches meines Wissens auch schon im Fernsehen zu sehen war: „Die Frauen der Wikinger – Sigruns Flucht nach Island“. Damit sich die Studierenden von diesen Sendungen jedoch nicht nur einfach berieseln lassen, habe ich zu beiden Produktionen Fragen und Arbeitsaufträge formuliert, die die Studierenden in ihrem jeweiligen individuellen Tempo bearbeiten können, und deren Ergebnisse sie auf dem e-Campus – die Universität Bonn nutzt hier Ilias – in ein hierfür angelegtes Forum eintragen können.

Zu beiden TV-Sendungen besteht ein Arbeitsauftrag darin, zunächst eine Zusammenfassung des Inhalts zu erstellen, und die Erzählstruktur der Sendung nachzuvollziehen und aufzuzeichnen. Ergänzend zu dieser Aufgabe erhalten die Studierenden als Literatur und Hintergrundinformation folgenden Text genannt:

Georg Koch, Vom Fund zur Figur. Motive zur Inszenierung leben­diger Urge­schichte vom Wei­ma­rer Kino bis zum Doku-Drama. In: Sarah Willner/Georg Koch/Stefanie Samida (Hrsg.), Doing history. Performative Praktiken in der Geschichtskultur. Edition Historische Kulturwissenschaften Band 1 (Münster, New York 2016) 117–136.

Darüber hinaus sollen die Studierenden zu den Expertinnen und Experten, die in der TV-Dokumentation und in den Zwischensequenzen des Doku-Dramas zu Wort kommen, recherchieren: Wer wurde im Rahmen der Sendungen interviewt? Haben sie zu dem Thema, zu dem sie befragt wurden, auch publiziert? Wenn ja, sollen die Studierenden die Literaturzitate in das zu dieser „Online-Sitzung“ angelegte Forum eintragen: So entsteht Stück für Stück eine gemeinschaftlich erstellte Bibliographie, die im weiteren Verlauf des Semesters genutzt werden kann, und die Studierenden trainieren ihre Recherchefähigkeiten.

Vielleicht führt der eine oder andere Aspekt, der den Studierenden in dieses populärwissenschaftlichen Formaten begegnet, darüber hinaus dazu, dass sie neugierig werden, und sich mit diesem Aspekt im Laufe des Semesters, etwa im Rahmen des thematisch zur Vorlesung passenden Seminars, auseinandersetzen möchten. Vielleicht regt auch der einen oder andere Titel eines Artikels oder Buches, auf den die Studierenden im Zuge Ihrer Recherchen für die zu erstellende Bibliographie stoßen, zur weiteren Lektüre an: Das wird der weitere Verlauf der Veranstaltungen sicherlich zeigen.


Dieser Blogeintrag ist am 19. März 2020 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/570 erschienen.

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Forschende - Lehrende - Archäologin | Prähistorikerin - Hochschuldidaktikerin