Am 18. Mai 2020 erschien in der Job-Kolumne von jetzt.de ein Interview mit einer Archäologin, die von ihrer Tätigkeit in der universitären Forschung erzählt. Der Arbeitsalltag ist aus meiner Sicht sehr schön und treffend beschrieben. Allerdings dürfte dieser Beitrag bei allen, die mit der akademischen Welt nicht vertraut sind, auch Fragen hinterlassen – insbesondere, was das genannte Einkommen betrifft.
Wie passt es etwa zusammen, dass Annika, die interviewte Archäologin, eine halbe Stelle innehat, aber meist 8, und nach eigener Aussage derzeit sogar 10-12 Stunden pro Tag arbeitet – was in einer Woche auch mehr als der Stundenumfang einer durchschnittliche Vollzeitstelle ist? Da der Beitrag unter der Frage „Wie viel verdient eine Archäologin?“ veröffentlicht wurde, möchte ich hier die genannten Verdienste in einem Kommentar etwas einordnen.
Der entscheidende Hinweis ist in einem Nebensatz versteckt: Annika ist Doktorandin, und wurde angestellt, um für Ihre Doktorarbeit zu forschen. Im Artikel ist hierzu folgendes zu lesen: „An meinen Bachelor habe ich noch einen Master im Bereich Archäologie drangehängt und schließe nun bald meine akademische Laufbahn mit der Dissertation ab.“ Weiter unten heißt es dann: „Aktuell arbeite ich noch an meiner Dissertation und werde auch ausschließlich für diese Arbeit bezahlt.“
Die Zeit, in der an einer Doktorarbeit oder Dissertation gearbeitet wird, ist ein wenig wie Schrödingers Katze: Sie gehört auf der einen Seite noch zum Studium, ist aber auch schon eine Art Berufstätigkeit. Daher sind Doktoranden in der Regel auch noch eingeschriebene Studierende, die neben ihrer Forschungstätigkeit für die Dissertation auch noch ein mehr oder weniger umfangreiches Promotionsstudium absolvieren müssen.
Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, die Arbeit an einer Dissertation zu finanzieren: Erstens wie Annika, durch eine Anstellung, die beinhaltet, an der Doktorarbeit zu schreiben, zweitens durch ein Promotionsstipendium oder drittens frei finanziert, durch einen Nebenjob, Erspartes, durch finanzielle Unterstützung der Eltern o.ä.. Die Promotionsordnungen geben hier in der Regel keinen Weg vor; allerdings werden Anstellungen und Stipendien meist für maximal drei Jahre vergeben: Den Doktorandinnen und Doktoranden sollte es daher möglich sein, ihre Arbeit in diesem Zeitrahmen fertigzustellen. Finanziell macht es dabei in der Regel kaum einen Unterschied, ob die Doktorandinnen und Doktoranden eine halbe Stelle innehaben oder ein Stipendium zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts erhalten: Netto läuft es meist ungefähr auf ähnliche Einkommen hinaus. Trotzdem sollten Promovierende insbesondere bei der Bewerbung um ein Stipendium genau darauf achten, was genau gezahlt wird: Gerade bei kleineren Stipendiengebern kann der Betrag auch deutlich davon abweichen. Darüber hinaus gibt es weitere Vor- bzw. Nachteile, die mit einem Stipendium oder mit einer Anstellung verbunden sind, z.B. im Bereich der Sozialversicherung und der Altersvorsorge, oder ob diese Zeit nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz angerechnet wird oder nicht.
Bleiben wir in diesem kurzen Kommentar aber beim Einkommen: Für die Zeit der Promotion, die teils als Studium, teils als Berufstätigkeit gesehen wird, und in der die Doktorand*innen zudem noch eingeschriebene Studierende sind, mag der Verdienst von Annika in Ordnung sein. Allerdings bedeuten die genannten 1918 Euro brutto wie im Beispiel von jetzt.de auch, dass sich Doktorandinnen und Doktoranden, die in großen Städten wie München oder Hamburg leben, entweder im Alltag deutlich einschränken müssen, oder einen Nebenjob brauchen, um eigenständig leben zu können: Allein für die Miete dürfte in diesen Städten ein nennenswerter Anteil des Verdienstes oder des Stipendiums ausgegeben werden. Wenn dann von den Doktorandinnen und Doktoranden auf der einen Seite erwartet wird, vom Zeitumfang her mehr als das Äquivalent einer Vollzeit in die Dissertation zu investieren, und die auf der anderen Seite mitunter die Teilnahme an Tagungen ganz oder teilweise aus eigener Tasche finanzieren müssen, dann wird das Geld auch mit einer Promotionsstelle oder einen Stipendium sehr schnell knapp.
Ich persönlich kann die Motivation von Annika sehr gut verstehen: Archäologische Forschung ist ein sehr interessantes Tätigkeitsfeld, und insbesondere die Auswertung von archäologischen Ausgrabungen ist ungemein spannend und herausfordernd – in meinen Augen mehr als die Ausgrabung selbst. Dass Doktorandinnen und Doktoranden, die mit ihrer Dissertation auch zum ersten Mal eine solche Auswertung durchführen, dies unter Bedingungen machen, die teilweise Studium, teilweise Berufstätigkeit sind, und dafür auf einer halben Stelle für halbes Gehalt Vollzeit arbeiten, kann unter dem Aspekt der Aus- und Fortbildung, die mit der Promotion verbunden ist, aus meiner Sicht für einen begrenzten Zeitraum akzeptiert werden.
Schwierig wird es allerdings, wenn auch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit abgeschlossener Promotion weiterhin erwartet wird, auf halben Stellen Vollzeit zu arbeiten. Der transnationale Report der Studie „Discovering the Archaeologists of Europe“ aus dem Jahre 2014, Seiten 46-47, zeigt für Deutschland auf, dass in der Archäologie der Anteil der Vollzeitstellen von 75% in den Jahren 2006-2008 auf 58% in den Jahren 2012-2014 gesunken ist. Darüber hinaus weist diese Studie auf Seite 41 für Archäologinnen und Archäologen in Deutschland für den Zeitraum 2012-2014 ein durchschnittliches Jahresgehalt von 30.670 Euro aus: Umgerechnet sind dies im Monat etwa mehr als 2500 Euro. Für viele Postdocs in der archäologischen Forschung liegen die im Artikel genannten 5800 Euro brutto auch mit jahrelanger Berufserfahrung und nach zahlreichen Orts- und Projektwechseln nach wie vor in weiter Ferne.
Links:
https://www.jetzt.de/job/gehalt-wie-viel-verdient-eine-archaeologin
https://www.discovering-archaeologists.eu/national_reports/2014/transnational_report.pdf
Dieser Blogeintrag ist am 20. Mai 2020 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/597 erschienen.