Zum internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft möchten wir Eeuch heute die ersten Doktorandinnen in den Archäologien vorstellen.
Es war lange Zeit nicht selbstverständlich, dass Frauen und Mädchen studierenden durften – auch nicht in den Archäologien, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts als akademische Fächer an den Universitäten zu etablieren begannen. Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert können wir in den archäologischen Fächern die ersten Studentinnen nachweisen. Da die reguläre Immatrikulation von Frauen an den meisten deutschen Universitäten noch nicht vorgesehen war, mussten sie sich als Gasthörerinnen einschreiben, und hatten dabei je nach Universität unterschiedliche Hürden zu überwinden. In der Regel mussten mindestens die Professoren der einzelnen Veranstaltungen, die die Frauen besuchen wollten, diesem Besuch zustimmen; manchmal mussten aber auch von der Fakultät oder der Universitätsleitung Genehmigungen eingeholt werden. Studieren war zudem teuer: Nur Frauen mit eigenem Vermögen oder aus begüterten Familien konnten sich ein Studium leisten. Regelabschluss eines Archäologiestudiums war damals die Promotion . Doch auch der Weg zum Hochschulstudium war für Frauen eigentlich nicht vorgesehen: Mädchen und junge Frauen waren von regulräer höherer Bildung ausgeschlossen, und konnten keine formalen Bildungsabschlüsse erreichen, die zum Studium berechtigten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden durch private Initiativen Gymnasialkurse für Frauen, in denen sie sich darauf vorbereiten konnten, das Abitur als externe Prüflinge an regulären Gymnasien zu erwerben.
Elvira Fölzer (1868-1937) – die erste Doktorin der Archäologie in Deutschland
Die deutschlandweit erste Doktorandin im Fach Archäologie war Elvira Fölzer. Sie schloss ihr Studium am 25. Juni 1906 an der Universität Bonn mit einer Arbeit zu „Die Hydria. Ein Beitrag zur griechischen Vasenkunde“ ab. Dies war sogar überregionalen Tageszeitungen eine Meldung wert: So schrieb etwa die Norddeutsche Allgemeinen Zeitung am 31. Juli 1906: „An der Universität Bonn promovierte als erste weibliche Hörerin Fräulein Elvira Fölzer aus Wandsbek, eine Archäologin“.
Ausschnitt aus der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 31. Juli 1906
Elvira Fölzer wurde im Alter von 36 Jahren promoviert. Über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, doch die wenigen verfügbaren Informationen lassen einen Einblick in ihren sozialen Hintergrund zu. Sie wurde am 26. Juni 1868 in Wandsbek geboren. Sie stammte aus einer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie mit Verbindungen nach Südamerika; ihre Eltern heirateten 1853 in Porto Alegre, Brasilien. 1867 übersiedelte die Familie nach Deutschland.
Als Elvira Fölzer 25 Jahre alt war, starb ihr Vater; ihr Elternhaus wurde zwei Jahre später verkauft. Durch das Erbe hatte Elvira Fölzer nun wohl eigenes Vermögen, und konnte dies unter anderem in ihre Bildung investieren. Als Helene Lange (1848-1930) in Berlin ihre Gymnasialkurse für Mädchen und Frauen einrichtete, war Elvira Fölzer eine ihrer Schülerinnen. Sie bereite sich dort auf die externe Abiturprüfung vor, die sie 1899 auch am Gymnasium von Dresden-Neustadt bestand. Noch im gleichen Jahr begann sie Klassische Archäologie, Klassische Philologie und Kunstgeschichte zu studieren.
In der Wahl des Themas [ihrer Doktorarbeit] kann man durchaus eine bewusste Zusammenführung des wissenschaftlichen Interesses von Elvira Fölzer an antiken Gefäßen mit ihrer aktuellen Situation als studierender Frau erkennen.
(Mertens 2013, 124)
schrieb Jürgen Mertens 2013 in seinem Aufsatz über Elvira Fölzer.
Nach ihrem erfolgreich abgeschlossenen Studium bewarb sie sich 1906 und 1907 auf das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts, das seit 1859 jährlich vergeben wurde. Auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters wurde Elvira Fölzer bei der Vergabe jedoch nicht berücksichtigt. So nahm Elvira Fölzer im Sommer 1906 auf eigene Rechnung an einer Studienreise nach Italien teil.
Noch im gleichen Jahr begann Elvira Fölzer am Provinzialmuseum in Trier zu arbeiten. Dort war sie bis 1916 als Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin mit Werkverträgen beschäftigt. Ihre wichtigste Aufgabe war hier die Bearbeitung der keramischen, v.a. römischen Funde aus den seit 1899 laufenden Kanalisationsgrabungen. Damit entwickelte sie sich zur Spezialistin in der Erforschung römischer Keramik und insbesondere der Terra Sigillata.
Ihre Forschungen zu römischer Keramik hatten Pioniercharakter. Rückblickend kann Elvira Fölzer als die erste provinzialrömische Archäologin in Deutschland bezeichnet werden.
Trotz dieser Leistungen war es ihr aber nicht möglich, dauerhaft in der Archäologie und damit in der Wissenschaft zu arbeiten. Bereits 1910 begann sie, zusätzlich zu ihrer Arbeit am Museum als Kunstlehrerin an einem Mädchengymnasium zu unterrichten. Nach 1917 ist Elvira Fölzer nicht mehr als Archäologin tätig, und es verlieren sich ihre Spuren. Sie lebte wohl bis 1926 in Frankfurt am Main., wo sie auch weiterhin als Lehrerin arbeitete. Ab 1927 lebte und arbeitete sie wohl als Privatlehrerin in Berlin. Sie starb 1937 in Köln.
Margarete Bieber (1879-1978) – die zweite promovierte und erste habilitierte Archäologin Deutschlands
Nur ein Jahr nach Elvira Fölzer promovierte – ebenfalls an der Universität Bonn – die 11 Jahre jüngere Margarete Bieber. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über „Das Dresdener Schauspielrelief. Ein Beitrag zur Geschichte des tragischen Kostüms und der griechischen Kunst“. Auch Margarete Bieber stammte aus einer begüterten Familie: Ihr Vater besaß Ländereien und eine Mühle in Westpreußen. Ihre Eltern hatte für sie und ihre Schwester allerdings zunächst ein anderes Leben im Sinn: Nach dem Besuch der Elementarschule und zwei Jahren in einem Mädchenpensionat war Margarete Biebers Schulzeit zu Ende. Nur ihr Bruder durfte auf ein humanistisches Gymnasium gehen.
Von meinem 16. bis 19. Lebensjahr war ich zu Hause und führte den Haushalt, da meine Mutter und meine ältere Schwester meistens krank waren. […] Mit 19 Jahren überraschte und entsetzte ich meine Familie mit dem Wunsch, zu studieren. Unter großen Schwierigkeiten, gehemmt durch die Verzweiflung meiner Mutter, die Abneigung meines Vaters gegen Mädchenbildung, die Vorwürfe und Unglücksprophezeiungen meiner zahllosen Tanten, aber ermutigt durch eine zufällige Bekanntschaft mit der Sozialistin Anita Augsburg, setzte ich es durch, in Berlin die Gymnasialkurse für Mädchen von Helene Lange besuchen zu dürfen.
(Bieber 1923, 6)
schrieb Margarete Bieber 1923 in ihrem autobiografischen Artikel „Wie ich Universitätsprofessorin wurde“.
Margarete Bieber bereitete sich also wie auch Elvira Fölzer privat auf die externe Abiturprüfung vor, die sie 1901 in Thorn, Westpreußen, bestand. Nachdem ihr ihre Eltern ein Medizinstudium ausgeredet hatten, wollte Margarete Bieber zunächst Gymnasiallehrerin werden und begann, in Berlin zu studieren. Dort wandte sie sich schon bald der Archäologie und Kunstgeschichte zu.
Nach wenigen Semestern wechselte Margarete Bieber an die Universität Bonn, wo sie zusammen mit Elvira Fölzer bei Georg Loeschcke studierte, und nur wenige Monate nach ihr promoviert wurde. Mit der erfolgreich abgeschlossenen Doktorarbeit gaben die Eltern von Margarete Bieber ihren Wiederstand gegen die Berufswünsche ihrer Tochter auf und unterstützen sie von nun an – vor allem finanziell. Margarete Bieber war daher zunächst nicht darauf angewiesen, mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie hatte als Frau in den Archäologien aber immer noch genug Hürden zu überwinden.
1909 erhielt Margarete Bieber das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts – als zweite Frau, und als erste Archäologin. Erst im Jahr zuvor, 1908, hatte die Theologin Carola Barth als erste Frau überhaupt das Reisestipendium für Christliche Archäologie erhalten . In den folgenden Jahren verbrachte Margarete Bieber viel Zeit im Mittelmeerraum, u.a. in Rom und Athen, und führte einige archäologische Auftragsarbeiten durch.
Das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts wird auch heute noch in mehreren Kategorien vergeben, und ermöglicht frisch promovierten Wissenschaftler*innen umfangreiche Studienreisen, um archäologische Stätten und Funde vor Ort und im Original zu sehen und zu studieren. Zudem lernen die jungen Archäolog*innen auf diese Weise viele etablierte Fachkolleg*innen und andere Forschende kennen, und können sich so zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn ein umfangreiches Netzwerk aufbauen.
In Margarete Biebers wissenschaftlicher Laufbahn ging es jahrelang – zwar langsam, aber stetig – voran. 1919 wurde sie an der Universität Gießen habilitiert – nach der Mathematikerin Emmy Noether als zweite Frau in Deutschland – und noch bevor das Habilitationsrecht für Frauen in der Weimarer Republik offiziell eingeführt wurde. 1923 wurde Margarete Bieber in Gießen zur außerordentlichen Professorin ernannt; 1928 übernahm sie die Leitung des Gießener Instituts für Altertumswissenschaften. Für das Jahr 1933 hatte man ihr an der Universität Gießen ein planmäßiges Ordinariat in Aussicht gestellt. Dies konnte Margarete Bieber in Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten jedoch nicht mehr erhalten. Da sie jüdischer Herkunft war, musste sie Deutschland verlassen. Sie ging zunächst nach Oxford, und von dort 1934 nach New York. In den USA setzte sie ihre wissenschaftliche Laufbahn fort.
Margarete Bieber war die erste Frau in den deutschsprachigen Archäologien, die ihr gesamtes Berufsleben trotz vieler Hindernisse in der Wissenschaft verbringen konnte.
Hildegard Knack (1902-1945) – die erste Doktorin der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie
Nach den ersten Doktorandinnen, die Themen der – wie wir heute sagen würden – klassischen Archäologie bearbeitet haben, dauerte es einige Zeit, bis Frauen auch Themen anderer archäologischer Schwerpunkte für ihre Abschlussarbeiten wählten.
Die erste uns bekannte Frau, die in Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie promovierte, hieß Hildegard Knack. Lange Zeit wusste man kaum etwas über sie: Erst Recherchen, die 2013 im Rahmen des Buchprojekts „Ausgräberinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Ausgewählte Porträts früher Archäologinnen im Kontext ihrer Zeit“ durchgeführt wurden, förderten einige Informationen über sie und ihr Leben zu Tage.
Hildegard Knack kam am 15. Dezember 1902 in Sandau an der Elbe zu Welt. Im Gegensatz zu Elvira Fölzer und Margarete Bieber konnte Hildegard Knack nach dem Besuch einer höheren Töchterschule regulär auf weiterführende Schulen gehen. Sie absolvierte in Stettin zunächst das Lyzeum, dann das Oberlyzeum, und bestand 1922 und 1923 das erste und zweite Lehrerinnenexamen. Vor dem Beginn ihres Studiums im Herbst 1923 arbeite sie als Vertretungslehrerin.
Hildegard Knack wurde 1928 mit einer Arbeit über „Die Laténekultur in Thüringen“ an der Universität Jena promoviert. Ihre mündliche Doktorprüfung fand am 15. Dezember 1928 – ihrem 26. Geburtstag – statt. In den folgenden zwei Jahren lässt sich Hildegard Knack weiterhin an der Universität Jena nachweisen.
Nach 1930 verliert sich innerhalb des Fachs Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie jedoch ihre Spur. Hildegard Knack kehrte in ihren ersten Beruf als Lehrerin zurück. Erst Studentinnen, die eine Dekade nach ihr in Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie promoviert wurden, gelang es, nach dem Abschluss des Studiums dauerhaft in der Archäologie zu arbeiten. Einige dieser Frauen werden wir euch im Laufe des Jahres auf diesem Blog vorstellen.
Quellen / zum Weiterlesen:
- Margarete Bieber, Wie ich Universitätsprofessor wurde. Neue Freie Presse, 1923, 6–7.
- Jürgen Merten, Elvira Fölzer (*1868). Zum sozialen und beruflichen Umfeld einer frühen Trierer Archäologin. In: Jana E. Fries/Doris Gutsmiedl-Schümann (Hrsg.), Ausgräberinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Ausgewählte Porträts früher Archäologinnen im Kontext ihrer Zeit. Frauen Forschung Archäologie 10 (Münster 2013) 119–140.
- Matthias Recke, The Impcat of Margarete Bieber on Twentieth-Century Scholarship. In: Carmen Arnold-Biucchi/Martin Beckmann (Hrsg.), Sculpture and Coins. Margarete Bieber as Scholar and Collector. Loeb classical monographs 16 (Cambridge, Massachusetts, London, England 2018) 23–46.
- Larissa Bonfante/Matthias Recke, Margarete Bieber. Two Worlds.
- Doris Gutsmiedl-Schümann, Hildegard Knack (1902-1945). Lehrerin, Studienrätin und prähistorische Archäologin. In: Jana E. Fries/Doris Gutsmiedl-Schümann (Hrsg.), Ausgräberinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Ausgewählte Porträts früher Archäologinnen im Kontext ihrer Zeit. Frauen Forschung Archäologie 10 (Münster 2013) 111–118.
- Jana E. Fries, Vom Anfangen und Ankommen. Frauen in der deutschsprachigen Archäologie, von den Anfängen bis zu #MeToo. In: Simone Kahlow/Judith Schachtmann/Cathrin Hähn (Hrsg.), Grenzen überwinden. Archäologie zwischen Disziplin und Disziplinen : Festschrift für Uta Halle zum 65. Geburtstag. Internationale Archäologie – Studia honoraria Band 40 (Rahden, Westf. 2021) 49–58.
- Karin Priem/Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Band 2, Frankfurt a.M.: Campus 1996.
Dieser Blogeintrag ist am 11. Februar 2023 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/1439 erschienen.