Doris Gutsmiedl-Schümann

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Doris Gutsmiedl-Schümann

Präsenzfreies Sommersemester 2020 (1):

Grundsätzliche Überlegungen zur Umgestaltung meiner Lehre

Doris Gutsmiedl-Schümann

8 Minuten Lesezeit

Der Start der Präsenzphase der Vorlesungszeit des Sommersemesters 2020 wurde an meiner Universität auf den 20. April verschoben (Stand 18.3.2020) – und da derzeit nicht abzusehen ist, ob es dabei bleibt, oder nicht vielleicht noch weitere Verschiebungen der Vorlesungszeit notwendig sein werden, haben Themen wie digitale Lehre, e-Learning, distance learning oder remotes Lernen derzeit Konjunktur.

In einer losen Folge von Beiträgen möchte ich hier teilen, von welche Überlegungen ich bei der Gestaltung meines präsenzfreien Starts ins Sommersemester ausgegangen bin, und möchte für meine Lehrveranstaltungen die Umsetzungen vorstellen.

Zu meiner fachlichen und institutionellen Einordnung: Ich komme aus der Prähistorischen Archäologie bzw. der Vor- und Frühgeschichte, und werde im Sommersemester 2020 eine Professurvertretung an der Universität Bonn übernehmen, nachdem ich im vergangenen Jahr eine Gastprofessur an der Freien Universität Berlin innehatte. Meine Lehre im Sommersemester 2020 umfasst eine Vorlesung zur „Archäologie des Nordatlantiks“ und ein thematisch dazu passendes Seminar für Bachelorstudierede, ein weiteres Seminar zu „Bildliche Darstellungen der Vergangenheit = Bilder der Vergangenheit? Kritische Reflexion archäologischer Lebensbilder“ für fortgeschrittene Studierende im Bachelorstudium sowie Masterstudierende, eine Übung zur Vorbereitung einer Exkursion nach Südskandinavien sowie die zugehörige Exkursion (von der im Moment unklar ist, ob sie überhaupt stattfinden kann), und ein Kolloquium für Masterstudierende zu „Themen der archäologischen Arbeitswelt“.

Zu digitaler Lehre im Hochschulkontext wurden aktuell bereits sehr hilfreiche Sammlungen von Tipps und Tools zusammengestellt und im Internet zugänglich gemacht: Allen, die daran mitgearbeitet haben, herzlichen Dank dafür! Diese Sammlungen, von denen ich hier auch auf diejenigen, die mir geholfen haben, hinweisen möchte, sind aus meiner Sicht vor allem für diejenigen Lehrenden hilfreich, die sich im Prinzip schon mit den Möglichkeiten des selbstgesteuerten, zeitlich und örtlich unabhängigen Lehren und Lernens beschäftigt haben, und in der aktuellen Situation vor allem nach einem Werkzeug suchen, eine konkrete Idee für eine Veranstaltung des anstehenden Semesters umzusetzen.

Doch was ist mit denjenigen Dozentinnen und Dozenten, die bisher vor allem auf die klassischen Formen universitärer Lehre wie Vorlesungen, bei denen vor allem der Vortrag der Lehrperson im Mittelpunkt steht, sowie Seminare, bei denen die Referate der Studierenden und deren anschließende Diskussion einen Schwerpunkt der Lehre darstellen, gesetzt haben? Deren erste Ideen zur Umsetzung digitaler Lehre dürften im Aufzeichnen von Vorlesungen oder im Abhalten von Webinaren oder Videochats mit Vorträgen von Studierenden liegen, wie es auch in manchen Ankündigungen zur Umsetzung digitaler Lehre zu lesen war. Aber ist dies auch sinnvoll?

Wie kann ich den Beginn meiner Lehrveranstaltungen „digital“ gestalten?

Ich möchte im Folgenden die Überlegungen, die mich bei der Anpassung meiner Lehrveranstaltungen für das Sommersemester 2020 geleitet haben, darlegen: Vielleicht sind dies für Kolleginnen und Kollegen aus vergleichbaren Fächern hilfreiche Anregungen.

Einige Vorbemerkungen zu unterschiedlichen Situationen von Studierenden

Zudem möchte ich vorausschicken, dass mir durchaus bewusst ist, dass es viele Studierende geben mag, die sich aktuell in Situationen befinden, in denen sie nicht an das Sommersemester oder ihr Studium denken, oder das Studium nur noch eine untergeordnete Rolle spielt: Wenn etwa der existenzsicherende Nebenjob nun plötzlich stark eingeschränkt wurde oder ganz wegfällt, und sie nicht wissen, wie die nächste Miete bezahlt werden soll; wenn es in der eigenen Familie Personen gibt, die von einer Covid-19 Infektion betroffen sind; oder wenn die Kinder nun zu Hause betreut und beschult werden müssen, weil Schulen und Kitas geschlossen haben.

Doch es mag auch Studierende geben, denen es hilft, sich auch weiterhin mit Inhalten des Studiums zu beschäftigen, etwa weil dies in der aktuellen Lage Vertrautheit und Sicherheit schaffen kann, oder sie sich damit von ihren Sorgen und Nöten zumindest für eine Weile ablenken können: Diese Studierenden habe ich im Blick, wenn ich nun über die Anpassungen meiner Lehrveranstaltungen berichte. Damit jedoch diejenigen Studierenden, die aus den o.g. oder anderen Gründen erst mit den tatsächlichen Start der Vorlesungszeit auch wieder in das Studium einsteigen können, nicht abgehängt werden, habe ich für die ersten Präsenzsitzungen jeweils auch Lehr-Lern-Aktivitäten geplant, die diese Studierenden mit ins Boot holen – diese sind jedoch nicht Thema dieses Beitrags.

Grundsätzliche Überlegungen zur Umgestaltung meiner Veranstaltungen

Die oben genannten Ideen, die schnell in den Raum gestellt wurden, als klar wurde, dass das Sommersemester nicht wie gewohnt wird beginnen können – das Aufzeichnen von Vorlesungen und das Abhalten von Seminarsitzungen per Video-Chat bzw. in einem virtuellen Meeting-Raum – stellen die Lehrenden in den Mittelpunkt des Geschehens: Damit ist vor allem sichergestellt, dass deren gewohnter Pfad so wenig wie möglich verlassen wird. Um jedoch den Studierenden einen guten, wenn auch improvisierten Start in das Sommersemester bieten zu können, ist es wichtig, die Studierenden und damit die Perspektive der Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei sollte auch nicht davon ausgegangen werden, dass alle Studierenden die nötige technische Ausstattung zu Hause haben, um an Videokonferenzen teilnehmen zu können; darüber hinaus ist sowohl bei dem Angebot von Lehrmaterialien als auch bei der Aufforderung, an Videokonferenzen teilzunehmen zu bedenken, dass die Internetanbindung von Studierenden möglicherweise zum einen dafür nicht leistungsfähig genug ist, zum anderen sie vielleicht einen Anbieter und einen Tarif gewählt haben, der ohne Mehrkosten monatlich nur ein geringes Datenvolumen zulässt. Nichtsdestotrotz können aufgezeichnete oder gestreamte Vorlesungen sowie Videokonferenzen und Gruppenchats sinnvoll sein, aus meiner Sicht allerdings nur als punktuelle Maßnahme in der Lehre, und nicht als Basis, auf der die präsenzfreie Zeit bis (nach aktuellem Stand) 20. April beruht.

Zugänglichkeit von Publikationen?

Ein weiterer wichtiger und von Anfang an mitzubedenkender Punkt, der v.a. in geisteswissenschaftlichen Studiengängen, die auf gut ausgestattete Präsenzbibliotheken angewiesen sind, da nur ein geringer Teil der relevanten Literatur online verfügbar ist, sind die aktuell geschlossenen Bibliotheken. Daher ist darauf zu achten, dass die Literatur, die für die erste Phase des Semesters genannt wird, auch irgendwie online verfügbar ist: Bei neuerer Literatur, dass diese entweder open access publiziert wurde, oder über den Onlinezugang der jeweiligen Universitätsbibliothek verfügbar ist; bei älterer Literatur können Portale wie academia.edu oder researchgate.net vielleicht weiterhelfen, oder google books bietet eine Vorschau, die die wichtigen und zu lesenden Seiten zeigt.

Eine Zusammenstellung von Online-Publikationen, die für die Altertumswissenschaften und Archäologien relevant sind, findet sich beispielsweise auf https://www.propylaeum.de/ unter dem Menüpunkt „Publizieren“. Auch das Deutsche Archäologische Instituts stellt z.B. mit iDAI (https://www.idai.world/) online Materialien zur Verfügung; und die Edition Topoi (https://www.edition-topoi.org/) bietet neuere altertumswissenschaftliche und archäologische Forschungen in digitalen Veröffentlichungen.

Ausgewogenes Verhältnis von synchronem und asynchronem Lernen

Eine wichtige Hilfe, um in meinen Überlegungen die Studierenden in den Mittelpunkt zu stellen, war für mich eine Grafik von Alison Yang (https://alisonyang.weebly.com/blog/online-teaching-do-this-not-that), die unter den Überschriften „Do this – Not that“ einige Anregungen für die Lehrenden ihrer Institution zusammengestellt hat. Dabei gibt es zwei Versionen dieser Grafik: In der ersten Fassung, zu der es auch eine deutsche Übersetzung gibt, die auf Twitter zirkuliert, war unter „Do this“ als erster Punkt asynchrones Lernen („Lehrpersonen schaffen Lernsituationen, in denen Lernende im eigenen Tempo arbeiten und den Lernstoff verarbeiten können“) genannt, unter „Not this“ synchrones Lernen („Interaktionen mit den Lernenden erfolgt ausschließlich synchron via Videokonferenzplattformen und Live-Chats“). Wie meines Erachtens zu Recht angemerkt wurde, kann punktuelles synchrones Lernen jedoch auch hilfreich sein, wenn es sinnvoll mit asynchronem Lernen verknüpft wird: Daher hat Alison Yang in der zweiten Version ihrer Grafik asynchrones Lernen („Teachers create learning experiences for students to work at their own pace and take time to absorb content“) und synchrones Lernen („Teachers and students meet online in real time through videoconferencing or live chatting“) als verwobenen Interaktionen über die Dos and Don’ts gestellt.

“Online Teaching: Do This, Not That by Alison Yang

Speziell für die remote Umsetzung synchronen Lernens über Chat-Systeme und Videokonferenzen hat das swiss competence centre for innovations in learning (scil) der Universität St. Gallen unter dem Titel Von der Präsenzlehre zum Teleteaching eine Schritt-für-Schritt Anleitung erstellt: https://www.scil.ch/2020/03/14/von-der-praesenzlehre-zum-teleteaching-schritt-fuer-schritt/

Realistisch bleiben!

Zurück zu der Liste von Alison Yang: In der zweiten Fassung ihrer Liste steht nun unter „Do this“ der Punkt „Less is more“ nun ganz oben zu finden. Dies ist in meinen Augen wohl das Wichtigste bei der Planung von digitaler Lehre, die nun spontan und ohne großen Vorlauf oder Testphasen umgesetzt werden soll: Realistisch zu bleiben in den Erwartungen, die an die Studierenden, aber auch an die Lehrenden gestellt werden. Beide müssen sich nun auf einen neue und ungewohnte Situation einstellen, und gewohnte Routinen im Lernen und Lehren greifen oftmals nicht mehr. Daher ist es meines Erachtens sehr wichtig, die Studierenden nicht mit Arbeitsaufgaben zu überfrachten, die in der gegebenen Zeit und mit den vorhandenen Ressourcen nur schwer zu schaffen sind: Das führt auf beiden Seiten nur zu Frustration. Meine Überlegungen zu meinen Lehrveranstaltungen gehen daher eher in eine Richtung, die es Studierenden erlaubt, Aufgaben oder Themenbereiche nach einer grundlegenden Bearbeitung je nach zur Verfügung stehender Zeit und Möglichkeit eigenständig immer weiter voranzutreiben und zu vertiefen.

Auf die Fähigkeiten der Studierenden vertrauen

Darüber hinaus bedeuten Überlegungen zu orts- und zeitunabhängigen Lehr-Lern-Aktivitäten auch, den Studierenden ein großes Maß an Autonomie zuzugestehen. Dies mag nicht immer leicht fallen – insbesondere in Studiengängen, in denen die Dozentinnen und Dozenten den Studierenden nahezu täglich in den Präsenzbibliotheken begegnen. Daher hier drei Punkte, die ich aus den Anregungen der Leuphana Universität Lüneburg für die Zusammenarbeit auf kultureller Ebene in räumlich getrennten Teams entlehnt habe:

  • Haben Sie Vertrauen in die Leistungsbereitschaft und Selbstmanagement-fähigkeiten Ihrer Studierenden.
  • Haben Sie Geduld und Nachsicht im Umgang mit eventuell ungewohnter Technik – bei den Studierenden und bei sich selbst.
  • Schaffen Sie ein gutes Maß an Verbindlichkeit und Flexibilität: Kommunizieren Sie, in welchen Zeiten Sie auf welchen Wegen für die Studierenden erreichbar sind; machen Sie aber auch deutlich, dass ein Semesterstart, der v.a. auf Online-Lehre beruht, nicht bedeutet, dass Sie rund um die Uhr ansprechbar sind.

Dieser Blogeintrag ist am 18. März 2020 zuerst unter https://archiskop.hypotheses.org/557 erschienen.

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