Bei unseren Recherchen sind wir auch auf Straßen gestoßen, die nach archäologisch arbeitenden Frauen benannt wurden. Wer wurde wo auf diese Weise sichtbar gemacht? Hier folgt nun Teil 2 unserer Übersicht.
„Straßenbenennungen dienen in erster Linie der Orientierung […] Darüber hinaus stellt die Benennung nach einer Person eine hohe Form der Ehrung durch die jeweilige Stadt dar“ heißt es in einer Handreichung des deutschen Städtetags zur Straßenbenennung aus dem Jahr 2021. Straßennamen erinnern im öffentlichen Raum an verstorbene Persönlichkeiten, die für den jeweiligen Ort von Bedeutung waren: Sie sind ein allgegenwärtiges, aber oftmals wenig beachtetes Medium der Erinnerungskultur. Straßennamen sind jedoch nicht nur eine hohe Form der Ehrung in Metall. Die aktuelle, vielerorts geführte Debatte um die Umbenennung von Straßen verdeutlicht vielmehr, dass es darum geht, mit wem und womit sich ein Ort identifizieren will.
Welche Archäologinnen wurden nun auf Straßennamen verewigt – und welche Bedeutung hatten sie für den jeweiligen Ort? Im heutigen Beitrag stellen wir eine Archäozoologin, eine klassische Archäologin und eine in Südamerika archäologisch arbeitende Frau vor, die Patinnen für Straßennamen waren.
Drei Prähistorikerinnen, nach denen Straßen benannt wurden, haben wir in der letzten Woche vorgestellt: https://aktarcha.hypotheses.org/1461
Angela von den Driesch (1934–2012)
HSeit 2018 gibt es in München, im Neubauviertel Neu-Pasing, den Angela-von-den-Driesch-Weg. Dieser Fuß- und Radweg wurde nach der Archäozoologin Angela von den Driesch benannt, die große Teile ihres beruflichen Lebens in München verbrachte. Sie wurde 1972 in München habilitiert und war an der Ludwig-Maximilians-Universität München Professorin für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin.
Straßenschild des Angela-von-den-Driesch-Wegs (Foto: Elsbeth Bösl)
Angela von den Driesch wurde am 11. Juli 1934 in Dresden geboren, und wuchs am Tegernsee in Bayern auf. Nach dem Abitur studierte sie zunächst in München an einer Sprachenschule Französisch und Spanisch, ehe sie sich der Tiermedizin zuwandte. Sie promovierte 1963 an der Universität München, und arbeitete im Anschluss am Tieranatomischen Institut. Zwei Jahre später holte Joachim Boessneck sie an das neu eingerichtete Institut für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin. Diesem Institut gehörte sie bis zu ihrer Pensionierung an.
1970 habilitierte sich Angela von den Driesch mit einer Arbeit zu „Osteoarchäologische Untersuchungen auf der Iberischen Halbinsel“. Sechs Jahre später veröffentlichte sie ein Standardwerk zur Vermessung von Tierknochen aus prähistorischen Siedlungsfundstellen. 1978 wurde sie an der Universität München zur Professorin ernannt. Ebenfalls in den 1970er Jahren spezialisierte sie sich in ihrer archäozoologischen Arbeit auf Fischskelette. Mit diesem Fokus in der Ichthyoarchäologie konnte sie neben Joachim Boessneck ein eigenes Forschungsprofil aufbauen.
1991 übernahm Angela von den Driesch die Leitung des Instituts für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin. Unter ihrer Führung wurden dort archäozoologische Forschungen in Europa, Eurasien und Afrika durchgeführt.
Ihr zweites fachliches Standbein lag in der Geschichte der Tiermedizin. 2003 veröffentlichte sie zusammen mit Joris Peters eine Monografie zu 5.000 Jahren Tierheilkunde.
Der Benachteiligung von Frauen in der akademischen Welt, die sie als Studentin und junge Wissenschaftlerin selbst erfuhr, versuchte sie als langjährige Frauenbeauftragte ihrer Fakultät entgegenzuwirken.
(Joris Peters im Nachruf auf Angela von den Driesch, S. 184)
Kurz bevor Angela von den Driesch in den Ruhestand ging, wurde die Osteothek ihres Instituts, die ca. 20.000 Vergleichsskelette von ca. 2.700 Arten umfasst, in den Rang einer Staatssammlung erhoben. Zu dieser Sammlung hatte sie selbst wesentliche Funde beigetragen. Im Jahr 2000 wurde sie mit der bereits bestehenden Anthropologische Staatssammlung in der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie zusammengeführt.
Angela von den Driesch starb am 4. Januar 2012.
Her engagement and enthusiasm inspired many generations of students and she served as a role model for young female scientists.
(Michaela I. Zimmermann & Nadja Pällath, 2020)
Der Weg, der an sie erinnert, befindet sich in prominenter Gesellschaft. In der Nähe liegt der Angela-Molitoris-Platz, der nach der Wirtschaftswissenschaftlern Angela Molitoris (1912-2002), der ersten Kanzlerin der Technischen Universität München, benannt ist. Zu diesem Platz führt die Hermine-von-Parish-Straße, der die Kostümforscherin Hermine von Parish (1907-1998) den Namen gab. Der Angela-von-den-Driesch-Weg kreuzt die Erna-Eckstein-Straße, die nach der Pasinger Lehrerin Erna Eckstein (1890-1949) benannt ist, die während der NS-Zeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Schüler*innen vor der staatlichen Indoktrination bewahren konnte.
Margarete Bieber (1879-1978)
In Gießen erinnern im öffentlichen Raum sowohl der Margarete-Bieber-Weg als auch ein bronzener Porträtkopf, der seit 2009 in der Fußgängerzone steht, an die klassische Archäologin. Sie war 1907 die zweite Frau in Deutschland, die in Archäologie promovierte, und 1919 die Erste, die in Archäologie habilitierte – doch den Weg in die Wissenschaft musste sich Margarete Bieber auch im familiären Umfeld erst erkämpfen. Wir sind darauf in diesem Blog in einem Beitrag zum Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft näher eingegangen.
Straßenschild des Margarete-Bieber-Wegs in Grießen (Foto: Tamara Ziemer)
Nachdem Margarete Bieber 1901 als Externe die Abiturprüfung bestanden hatte, begann sie noch im gleichen Jahr zu studieren. 1907 beendete sie ihr Studium an der Universität Bonn erfolgreich mit der Promotion, dem damals ersten möglichen Studienabschluss. In den folgenden Jahren war Margarete Bieber viel im Mittelmeerraum tätig, vor allem in Rom und Athen. 1914 musste sie bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Deutschland zurückkehren.
1915 holte sie Georg Loeschcke, der Betreuer ihrer Doktorarbeit, der inzwischen ein Ruf an die Universität Berlin angenommen hatte, als Vertretung für seine an die Front eingezogenen Assistenten an sein Institut. Sie übernahm dort deren Aufgaben – nicht aber deren Stelle oder deren Gehalt. Als ihr Doktorvater kurz darauf erkrankte und im November 1915 starb, vertrat Margarete Bieber inoffiziell Loeschckes Lehrstuhl, bis der zum Nachfolger berufene Ferdinand Noack ihr die Lehrtätigkeit verbot.
Preußen hielt bis zum Ende des Kaiserreichs am Habilitationsverbot für Frauen fest. Weiblichen Promovierten wie Margarete Bieber blieb die Hochschullaufbahn dadurch formal verschlossen. Erst mit der Etablierung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in der Weimarer Verfassung wurde das Habilitationsverbot für Frauen unhaltbar. Schon 1919 habilitierten sich in Deutschland daraufhin vier Frauen, darunter die Mathematikerin Emmy Noether – und die Archäologin Margarete Bieber. Margarete Bieber verfasste als Habilitationsschrift eine Studie über antike Theatergebäude.
1923 wurde Margarete Bieber in Gießen zur außerordentlichen Professorin ernannt, als zweite Professorin Deutschlands – wiederum nach Emmy Noether. 1928 wurde sie Leiterin des Gießener Instituts für Altertumswissenschaften. Als Margarete Bieber 1932 erfuhr, dass sie im kommenden Jahr das planmäßige Ordinariat in Gießen erhalten sollte und damit auch finanziell abgesichert sein würde, entschloss sie sich, im Alter von 54 Jahren, die sechsjährige Ingeborg zu adoptieren.
Ihre bis 1933 stetig fortschreitende Karriere kam aber in Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einem abrupten Halt. Margarete Bieber war zwar selbst altkatholisch getauft und hatte durch ihre Gouvernante in jungen Jahren eine christlich-protestantische Erziehung erfahren, ihre Familie war aber jüdischer Abstammung. Sie wurde im Juli 1933 auf Grundlage des „Berufsbeamtengesetzes“ auf Grund von „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen. Auch ein offener Brief, in dem sich 49 ihrer Studenten mit ihr solidarisierten, konnte daran nichts ändern.
Obwohl Margarete Bieber die Meinung vertrat, dass der Nationalsozialismus eine vorübergehende Erscheinung sei, entschloss sie sich noch 1933 zur Emigration. Nach einem Aufenthalt in Oxford als Honorary Research Fellow am Somerville College emigrierte sie im September 1934 mit ihrer Adoptivtochter und ihrer langjährigen Haushälterin schließlich nach New York. Dort lehrte sie zunächst am Barnard College, seit 1935 auch an der Columbia University, wo sie bis zu ihrem Ruhestand als Associate Professor in Fine Arts and Archaeology tätig war.
Der Margarete-Bieber-Weg in Gießen verbindet den Mildred-Harnack-Weg mit dem Hedwig-Burgheim-Ring: Allen drei Frauen, nach denen diese Straßen benannt wurden, ist gemeinsam, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten einen entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben darstellte.
Maria Reiche (1903-1998)
Maria Reiche ist vor allem für ihre Forschungen zu Geoglyphen in Peru, den sog. Nazca-Linien bekannt. In ihrer Geburtsstadt Dresden erinnert die Maria-Reiche-Straße an sie.
Straßenschild der Maria-Reiche-Straße in Dresden (Foto: Milka Berndt)
Maria Reiche wurde am 15. Mai 1903 in Dresden geboren, und wuchs mit zwei jüngeren Geschwistern auf. Sie stammte aus einer angesehenen Familie, der im deutschen Kaiserreich Künstler und Wissenschaftler angehörten. Ihr Vater, Richter am Oberlandesgericht in Dresden, fiel im Eersten Weltkrieg. Trotz den finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich die Familie nach seinem Tod befand, ermöglichte die Mutter, die selbst an den Universitäten Hamburg und Edinburgh Theologie und englische Literatur studiert hatte, allen Kindern den Besuch einer höheren Schule und ein Studium. Maria Reiche studierte Mathematik, Physik, Philosophie, Geografie und Pädagogik, und schloss das Studium 1928 mit dem Staatsexamen und der höheren Lehramtsprüfung ab. Anschließend war sie an unterschiedlichen Schulen in befristeten Arbeitsverhältnissen als Lehrerin tätig.
Die politischen Veränderungen, die sich in Deutschland abzuzeichnen begannen , veranlassten Maria Reiche, nach einer Beschäftigung im Ausland zu suchen: Vor allem dem aufkommenden Nationalsozialismus stand sie skeptisch gegenüber. 1932 unterschieb sie einen vierjährigen Arbeitsvertag als Hauslehrerin für die beiden Kinder des deutschen Konsuls in Cuzco, Peru. Eine sechswöchige Reise führte sie von Hamburg nach Südamerika. Zwei Jahre lang blieb sie Hauslehrerin im Haus des Konsuls, ehe ihr Vertrag vorzeitig aufgelöst wurde. Maria Reiche nutzte jedoch die bereits bezahlte Rückfahrt nicht, sondern blieb in Lima, wo sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. 1935 begann sie für das Museo de Arqueología in Lima zu arbeiten: Zunächst als Restauratorin, dann als Übersetzerin. In Lima hörte sie auch im Rahmen eines Vortrags des US-amerikanischen Professors Paul Kosok zum ersten Mal von den Nazca-Linien.
In Peru nutze Maria Reiche ihre freie Zeit für Ausflüge in die Umgebung und zu den Ruinen vergangener Kulturen. Von Cuzco aus besuchte sie unter anderem Machu Picchu, und nahm im dortigen Sonnenobservatorium eigene Messungen vor. Im Dezember 1941 reiste Maria Reiche im Auftrag von Paul Kosok in die Pampa, um am Tag der Sonnenwende in Nazca weitere Linien zu vermessen. Dabei entdeckte sie weitere Linien, und kann durch ihre Vermessungsarbeit Figuren nachzeichnen. Diesem ersten Aufenthalt in der Wüste sollten noch viele weitere folgen. Im Laufe ihres Lebens vermaß Maria Reiche über 500 Figuren und mehr als 1000 Linien. Sie war auch die Erste, die Luftbildaufnahmen von den riesigen Bildern machte.
Maria Reiche hat die Geoglyphen von Nazca nicht nur erforscht, sondern durch ihre Publikations- und Vortragstätigkeit auch dafür gesorgt, dass sie bekannt und als schützenswert anerkannt wurden. Seit 1994 gehören die Linien und Bodenzeichnungen von Nazca und Pampa de Jumana zum UNESCO-Welterbe. Für ihre Arbeit hat sie zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen erhalten. Maria Reiche starb am 8. Juni 1998 in Peru.
Die Maria-Reiche-Straße in Dresden führt u.a. an verschiedenen Frauenhofer-Instituten vorbei: Dies passt gut zu dem naturwissenschaftlichen Hintergrund der vielseitigen Forscherin. Die TU Dresden hat mit den Maria Reiche Postdoctoral Fellowships ein Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen nach ihr benannt.
Herzlichen Dank an Sophia Horster, Julia K. Koch und Maria Shinoto für hilfreiche Hinweise für diesen Beitrag, und an Milka Berndt und Elsbeth Bösl für die hier gezeigten Fotos!
Quellen / zum Weiterlesen:
- Cornelia Becker, In memoriam Angela von den Driesch. Neo-Lithics 2, 2011, 3–4.
- Hans P. Obermayer, Deutsche Altertumswissenschaftler im amerikanischen Exil (2014).
- Joris Peters, Im Gedenken an Angela von den Driesch. Bayerische Vorgeschichtsblätter 77, 2012, 182-185.
- Matthias Recke, “… besonders schauerlich war die Anwesenheit von Frl. Bieber” – Die Archäologin Margarete Bieber (1879-1978). Etablierung einer Frau als Wissenschaftlerin. In: Jana E. Fries/Ulrike Rambuscheck/Gisela Schulte-Dornberg (Hrsg.), Science oder Fiction? Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern. Frauen – Forschung – Archäologie 7 (Münster 2007) 209–231.
- Dietrich Schulze/Viola Zetzsche, Bilderbuch der Wüste. Maria Reiche und die Bodenzeichnungen von Nasca (Halle (Saale) 2005).
- Michaela I. Zimmermann/Nadja Pällath, Angela von den Driesch. TrowelBlazers articles, 23. September 2020: https://trowelblazers.com/2020/09/23/angela-von-den-driesch/
Dieser Blogeintrag ist am 23. Februar 2023 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/1554 erschienen.